Tausche Brautschuh gegen Flossen
wird?«
»Ich wusste es nicht.«
Er betrachtet mich und schweigt.
Ich ahne, welche Sorge in seinem Kopf kreist und welche Frage sich daraus ergibt.
Er stellt sie trotzdem: »Das soll
ich dir glauben?«
»Du sollst gar nichts, Lukas. Aber
du könntest, wenn du wolltest.«
Was du liebst, lass frei
Silvester verbringen wir in der Nähe von Oberhof in einer idyllisch
am Waldrand gelegenen Skihütte, die 15 Leuten Platz bietet. Auf Ninas spontane Entscheidung
hin sind wir doppelt so viele. Bastian, der die Hütte bereits im Februar für eine
Feier in kleinem Rahmen anmietete, ist so deshalb so sauer, dass er sich auch zwei
Stunden nach der Ankunft noch in ein Schweigen hüllt, das so eisig ist wie die Luft
am Rennsteig. Mit stillem Groll verfolgt er jede Bewegung der Facebook-Fraktion.
Ninas knappe
Facebook-Statusmeldung beinhaltete eine exakte geografische Angabe der Skihütte
und eine Einladung an all ihre 536 Facebook-Freunde, mit ihr Silvester zu feiern,
wenn sie zufällig in der Nähe sind. Glücklicherweise waren das deutlich weniger.
Eine Frau kenne ich sogar, weil ich schon einmal an einer roten Ampel neben ihr
gestanden habe. Okay, Ironie beiseite: Wir waren uns natürlich schon zuvor namentlich
bekannt, wie es sich für eine Kleinstadt gehört, weshalb sie wohl meinte, dass wir
Facebook-Freunde sein müssten. Da sie ihr gesamtes Leben postet, weiß ich, welche
Tiefkühlpizza sie gern ist, mit welchem Cocktail sie sich am vergangenen Wochenende
betrunken hat und welche Musik sie immer hört, wenn sie deprimiert ist. Momentan
ist sie das komplette Gegenteil.
Auf unserer Winterwanderung, während
der dank des Apfelschnapses auch Bastian auftaut, sind wir umgeben von lauter brillant
gelaunten Facebookern, die sich in einer Insidersprache unterhalten, jede Sekunde
mit dem Smartphone festhalten und prompt posten, um der Welt zu zeigen, wie lustig
ihr Leben ist. Ich finde es eher traurig, doch schweige dazu.
»Kein Tagging!«, sage ich stattdessen
und benutze eben dieses Facebook-Insider-Wort, damit auch jeder weiß, was ich meine.
Ich wiederhole es mehrmals und verknüpfe es mit der Hoffnung, dass das Fotografieren
irgendwann aufhört. Weder auf der Wanderung noch bei der Zubereitung des Essens
wird diese Hoffnung erfüllt. Erst recht nicht, als wir alle dicht zusammengedrängt
an der großen Tafel im Wohnzimmer hocken.
Nina und Bastian sitzen Lukas und
mir gegenüber. Schon seit Tagen scheint es zwischen den beiden zu kriseln, doch
meiner sonst so gesprächigen Freundin ist diesbezüglich kein Wort zu entlocken.
Auch jetzt sind sie nicht die geselligsten Tischnachbarn und bekommen sich in die
Haare, weil Bastian vom Tisch aufsteht, während Nina noch den Eisbecher auskratzt.
Dass er sich sofort wieder hinsetzt, macht es nicht besser. Bald ist Nina von jedem
und allem so angenervt, dass ich mir am liebsten einen anderen Platz suchen würde.
Da ausgerechnet Lilly neben ihr
sitzt, befürchte ich, dass der Abend eine noch unangenehmere Wende nimmt und auch
die beiden sich zoffen werden. Glücklicherweise passiert nichts dergleichen, was
vermutlich daran liegt, dass Lilly sehr angeheitert ist und vom Streit zwischen
Nina und Bastian nichts mitbekommt.
Meine sonst so zurückhaltende Lilly
unterhält die ganze Runde. Als wir die Musik lauter stellen, schnappt sie sich den
Hübschesten von Bastians Freunden, um mit ihm zu tanzen. Lilly ist eine ebenso fabelhafte
wie ausdauernde Tänzerin, und der Mann ist schnell außer Atem. Sie zeigt ihm jeden
Tanzschritt, den er noch nicht beherrscht, und lacht über seine halbherzigen Versuche,
sich ihr zu entziehen. Es ist anzunehmen, dass er ihr völlig verfällt, morgen liebeskrank
sein wird, während sie sich nicht einmal daran erinnern möchte, mit ihm getanzt
zu haben.
Ich geselle mich zu Hannah. Wir
denken uns aberwitzige Vorhaben für das nächste Jahr aus. Sie sagt, dass sie plant,
nach Berlin zu ziehen, um Messer zu verkaufen, und lacht nicht, als ich darüber
lache. Meine Miene muss den Schreck widerspiegeln, der mir in die Glieder fährt
und sich dort festsetzt. Hannah verzieht den Mund zu einem Strich, nimmt mich in
den Arm und drückt mich an sich.
Kurz vor zwölf lasse ich das vergangene
Jahr in Gedanken Revue passieren. Ich erinnere mich an die Aufregung um die Hochzeitsvorbereitungen
und den Moment, als Lukas und ich uns das Jawort gegeben haben. Auch an das Tief
des Herbstes denke ich, an den Hugo-Strandkorb auf Rügen. Und an Christoph, an
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