Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Stadt verlassen, und nur wenige blieben in ihr; und unter diesen befanden sich zwei Greise, die treue Freunde waren, Leute von großer Ehre und Besitzer großer Schätze. Sie waren Christen und ehrten die Gebote Gottes; und wenn sie Kinder gehabt hätten, würden sie ein gar frohes und beschauliches Leben gelebt haben. Als sie sich nun eines Tages darüber beklagten, machten sie am Schlusse ihres Gespräches ab, wenn ihnen zu irgendwelcher Zeit Kinder geboren würden und das eine ein Knabe, das andere aber ein Mädchen wäre, wollten sie sie miteinander vermählen. Und nicht lange hernach wurden ihre Wünsche erfüllt, denn fast am gleichen Tage gebaren zu ihrer größten Zufriedenheit ihre Gattinnen, die eine einen Sohn, den man Firischte rief, die andere eine Tochter, die Gul genannt wurde, Kinder von wahrhaft wunderbarer Schönheit. Sie erzogen aber diese bis zu der Zeit, wo sie in die Schule gehen konnten, tugendhaftund vertrauten sie dann einem weisen und frommen Manne an, auf daß sie lesen und gute Sitten lernten. Und es mangelte ihnen nicht an Verstand; weil sie Kinder waren, die mit den schönsten Eigenschaften begabt waren, lernten sie alles, was sie der weise Lehrer lehrte; und wiewohl sie noch in einem zarten Alter standen, liebten sie sich doch so zärtlich, daß nicht einer von dem andern lange getrennt sein konnte. Ihr Lehrer verstand sich aber außer seiner Gelehrsamkeit noch auf die Kunst, aus Rosen oder auch andern Blumen so geschickt Sträuße zusammenzustellen, daß er dadurch leicht das Gesicht jeden Mannes oder jeder Frau nachbildete. An dieser Kunst erfreuten sich die Kinder gar sehr und zeichneten sich auch in ihr wie in jeder andern Kunst so aus, daß sie in ihr binnen kurzem ihren Lehrmeister bei weitem überragten. Als nun das Mädchen ein Alter von zwölf Jahren erreicht und jetzt alles, was diesem Alter an Gelehrsamkeit gebührt, gelernt hatte, nahm sie der Vater aus der Schule und überließ sie in seinem Hause der mütterlichen Fürsorge. Hierüber wurde Firischte schmerzerfüllter, als es jemals ein andrer gewesen war; wie er sich von der, die er so heiß liebte, getrennt sah, glaubte er vor Kummer sterben zu müssen. Der verließ ihn ein ganzes Jahr über nicht; und wie ihn eines Tages die Liebe zu ihr ganz besonders heftig quälte, beschloß er, ihr dies auf irgendeine Weise kundzutun. Und er stellte aus Rosen und andern Blumen mit solcher Kunst einen Strauß zusammen, daß man ihr Gesicht in ihm, wie wenn es lebte, erblickte; und ließ ihr den heimlich durch seinen Diener überreichen. Als nun Gul von ihrem Firischte, den sie mehr denn jeden andern liebhatte, etwas so Seltenes und eine so edle Gabe erhalten hatte, küßte sie sie oft und lief sogleich in den Garten, wo sie vieleBlumen pflückte, stellte in einem Strauße Firischtes lebendes Bild her und ließ ihm den durch denselben Diener überbringen. Wiewohl Firischte diesen Strauß mit großer Freude sah, wurde er doch nicht lange hernach der großen Liebe wegen, die er fühlte, von einer schweren Krankheit befallen. Der Vater merkte aber, daß das Übermaß der Liebe, die der Sohn zu Gul gefaßt hatte, solches verursacht hätte, und ging unverzüglich zu ihrem Vater und fand sie aus dem gleichen Grunde in dem gleichen Zustande. Da sprach er zu ihm: ›Wir wollen, o lieber Freund, die Abmachungen innehalten. Deine Tochter ist jetzt mannbar geworden, und Firischte ist bereit, sie zum Weibe zu nehmen. Daher bitte ich dich herzlich, daß wir ihre Hochzeit baldmöglichst feiern, auf daß wir sie, die sich so hitzig liehen, vom gewissen Tode befreien!‹ Dies zu tun, war Guls Vater sehr bereit und veranstaltete ein großes Fest, und die Hochzeit wurde feierlich gefeiert. Und weil das Mädchen von bewunderungswürdiger Schönheit war, kam das Gerücht davon dem Könige alsbald zu Ohren; wiewohl er sie nicht gesehen hatte, hatte er doch soviel Rühmens von ihrer Schönheit machen hören, daß er sie zu sehen beschloß. Er ließ sogleich Firischtes und Guls greise Väter vor sich entbieten und trug ihnen auf, am selben; Tage ohne Verzug die Kinder, deren Hochzeit sie feierten, vor sein Antlitz zu führen. Zu diesem Befehle waren die guten Väter bereit und kamen mit den jungen Leuten, die reich, wie es ihren Verhältnissen entsprach, gekleidet waren, in den königlichen Palast. Sie wurden vor den König geleitet; und sobald sich dieser von der Schönheit der Braut überzeugt hatte, die ihm noch größer zu sein schien, als es der Ruf
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