Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Augen begehrenswert sei; aber daran, wie er die Undankbarkeit Abdallahs ausmalte, hatte sie nur zu sehr gemerkt, wie sehr ihr Liebhaber um sein Glück in Sorge war; seine Treue für seinen Gebieter war es nicht, um was er am meisten fürchtete, und seine letzten Worte bewiesen ihr, daß es ihm weniger beschwerlich wäre, ihn zu verraten, als sie zu täuschen.
›Ich räume ein, o Herr,‹ sagte sie, ›daß die eben erzählte Geschichte ebenso liebenswürdig wie ihre Moral gerecht ist, doch kann mich das nicht hindern, dabei zu fühlen, daß Abukazir die meinige hat bekritteln wollen. Ich habe an Naerdan die Zaghaftigkeit getadelt, die ihn zu einer schlecht angebrachten Dankbarkeit veranlaßte, die ihm sein und seiner Geliebten Glück kosten konnte; Abukazir tut aber unrecht, wenn er annimmt, ich hätte aus Undankbarkeit eine Tugend machen wollen, und meine vielmehr, daß die Abdallahs nicht genügend bestraft zu sein scheint, ist ein Fehler in seiner Erzählung; der Eigennutz, der für ihn selbst keine Tugend sein konnte, kann ihn noch weniger des Lasters wegen entschuldigen. Was hingegen die Liebe des öftern zu tun pflegt, muß weniger streng beurteilt werden. Es macht die Schuldigen nur allzu bedauernswert, und der ganze Erdkreis ist in solchem Falle nur zur Nachsicht verpflichtet. Abdallah hätte, wenn er sich mit dem Derwisch vereinigte,‹ fuhr sie fort, ›alle seine Reichtümer teilen und glücklich sein können, und war so töricht, an einen Betrug zu denken: diese Kunst und Feinheit muß man den Liebesleuten überlassen, denen sie allein gestattet ist; die wissen sie so wohl anzuwenden, daß es keinen Aufpasser gibt, den sie nicht hinter das Licht führen.‹
Abukazir schlug die Augen nieder, um einem Blicke zu entgehn, den der König auffing, ohne ihn genügsam aufzuklären; indessen sagte er aufgeregt und mit Gedanken beschäftigt, die ihm ganz neu waren, er wolle sich zurückziehen; doch ließ er sich von Fatme versprechen, ihm anderen Abends eine Geschichte zu erzählen, die bewiese, was sie eben behauptet hätte. Und am folgenden Tage nach vollendeter Mahlzeit erinnerte sich der König leicht des flüchtigen Eindrucks wieder, den er gehabt hatte. Solcherart aber erzählte sie ihm:
Die Geschichte des Vogels Greif
Als Sultan Sulaiman den Thron bestieg, erklärte er Vogel Greif, der das Gebirge von Kaf bewohnte, für den König aller Vögel. Obwohl das kluge Tier siebzehntausend Vogelarten hatte, welche ihm Untertan waren, blieb es doch immer im Dienste des Fürsten und kam jeden Morgen, um ihm den Hof zu machen.
Vogel Greif war eines Tages bei einem Streite zugegen, oder vielmehr einer Verhandlung, welche die Gesetzeskundigen in Sulaimans Gegenwart führten. Einer unter ihnen sagte, man könne nicht wider Gottes Ratschlüsse handeln. Vogel Greif war erstaunt über diesen Satz und unterbrach ihn und sagte mit sehr lauter Stimme: ›Ich meine, daß ich das, was Gott beschließt, verhindern kann.‹ Die Weisen hielten ihm nun vergebens seine Torheit vor und die Gottlosigkeit dessen, was er behauptete; und Gott, der es gehört hatte, wollte sehen, was sein Plan war und welche Maßnahmen Vogel Greif treffen könnte, um seine Beschlüsse scheitern zu lassen.
›Ich will,‹ sprach er nun, ›daß die Tochter des Königs vom Abendlande den Sohn des Königs vom Morgenlande heiraten soll. Geh‹, sprach er zu Gabriel, ›und laß Sulaiman um mein Vorhaben wissen; wir wollen sehen, was Vogel Greif anstellt, um diese Heirat zunichte zu machen.‹ Sulaiman teilte Vogel Greif den Willen Gottes mit und machte ihm noch Vorhaltungen, damit er das Lächerliche seines Unterfangens einsehen sollte; er aber bestand immer auf seiner Meinung und sagte, er werde Mittel finden, die Heirat zu hintertreiben.
›Ich geruhe dir zu verkündigen,‹ fuhr der Sultan fort, Ydaß die Königin vom Abendlande in diesem Augenblicke eine Tochter geboren hat, die man dem Sohne des Königs vom Morgenlande bestimmt.‹ Vogel Greif flog sofort auf, ohne noch vernommen zu haben, daß nur die Nachteule zu ihm halte. Sie war der einzige unter allen Vögeln, welcher glaubte, daß Vogel Greif mit seinem Unternehmen Glück haben würde. Er strich mit der größten Schnelligkeit durch die Luft und kam bald im Abendlande an und suchte eine Weile mit den Augen, um die Gegend zu finden, in der die Prinzessin wohnte; endlich erblickte er sie in ihrer Wiege, umgeben von ihren Nährmüttern. Und er stieß aus hoher Luft auf diesen Platz; die
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