Tausend Worte der Liebe
durchgebürstetem Haar, verließ Shay mit hocherhobenem Kopf die Umkleidekabine. Die Verkäufer hatten auf sie gewartet, eine Reihe gebildet und begrüßten Shay mit Bravorufen und Applaus.
Shay dankte und verschwand schleunigst in ihrem Büro. Dort ließ sie sich aufatmend in einen Sessel sinken. Ihr Herz klopfte, die Beine zitterten. Es war schlimm genug, dass halb Washington diesen albernen Werbespot sehen würde. Aber Mitch …Er hätte wirklich nicht kommen brauchen.
5. KAPITEL
Marvin zu vertreten, war gar nicht so einfach. Es ergaben sich immer neue Probleme, die gelöst werden mussten. Aber Shay war dankbar dafür, weil ihr so keine Zeit zum Nachdenken blieb. Das betraf sowohl die nächsten drei Werbespots, die in Vorbereitung waren, als auch die enge Zusammenarbeit mit Mitch Prescott und seiner gefährlich verführerischen Anziehungskraft.
Kurz vor Büroschluss tänzelte Ivy herein, mit einem übermütigen Leuchten in ihren Augen und einem Blumenstrauß in den Händen. »Für dich«, sagte sie einfach und legte das Bouquet aus rosa Margeriten und weißen Nelken vor Shay auf den Tisch.
Beim Anblick der Blumen schlug Shay das Herz höher. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Aufmerksamkeit der Mitarbeiter, oder Marvin Reese wollte ihr eine Freude machen. Doch ihr Gefühl sagte, dass ein anderer die Blumen schickte.
Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie die Karte aus dem Umschlag herausnahm. Sie erinnerte sich kaum mehr daran, wann sie von jemanden Blumen bekommen hatte.
Wenn Du heute Abend Zeit hast, können wir uns beim Essen in meinem Haus über das Buch unterhalten. Rein geschäftlich – versprochen. Mitch .
Rein geschäftlich, schrieb er. Shay erinnerte sich an Mitchs Küsse und an das atemberaubende Gefühl, als er sie auf der dunklen Terrasse mit seinem Körper gegen das Geländer drückte, und sie fragte sich, wem er damit etwas vormachen wollte?
Sie fühlte so etwas wie Verdruss, vermischt mit prickelnder Vorfreude, aber auch Erleichterung. Sie seufzte und gestand sich ein, dass die Enttäuschung groß gewesen wäre, wenn die Blumen nicht von Mitch gekommen wären.
»Von Mitch?«, fragte Ivy gespannt.
Shay lächelte. »Die Frage hättest du dir sparen können, wo du es doch ganz genau weißt.«
»Das ist nicht wahr!« Ivy verteidigte sich glaubhaft und beinahe beleidigt. »Es war eine Vermutung, nicht mehr.«
Shays Müdigkeit war wie weggeblasen, und mit wenigen Griffen räumte sie ihren Schreibtisch auf. Sie bemerkte, wie neugierig Ivy war und wie es ihr auf der Zunge lag, all die Fragen zu stellen, und es bereitete Shay Vergnügen, ihr keine Antworten darauf zu geben. »Nun«, sagte sie und seufzte übertrieben, nahm den Strauß und die Handtasche und öffnete die Tür. »Bis morgen dann!«
Ivy blieb dicht hinter ihr. »Oh, das möchtest du wohl, Shay Kendall! Was hat mein Bruder dir geschrieben? Geht Ihr essen? Warum hat er dir Blumen geschickt?«
Shay lächelte in sich hinein und stieg die Treppe hinunter. Um Ivy vor einer schlaflosen Nacht zu bewahren, rief sie über die Schulter zurück: »Er will mit dem Buch über Rosamond anfangen. Gute Nacht, Ivy!«
»Was für ein Buch?« Ivy lief verzweifelt hinter Shay her, die inzwischen schon über den glänzenden Marmorboden des Verkaufsraumes zum Ausgang schritt: »Willst du damit etwa sagen … Du wolltest doch nie … Hast du tatsächlich …«
Glücklicherweise wartete Todd auf Ivy, sonst wäre sie Shay bis zum Auto gefolgt und hätte sie mit weiteren Fragen bestürmt. Ivy sah so gequält aus, als ihr Verlobter sie in seinen Wagen schob, dass Shay ihr noch aus lauter Mitleid schnell »Morgen erkläre ich dir alles!«, zurief. Damit glitt sie hinter das Lenkrad ihres eigenen Autos.
Shay fuhr nicht nach Hause. Hank war nicht daheim, und sie brauchte Zeit, sich an die fremde Stille zu gewöhnen, die sie empfing, wenn sie die Tür aufschloss. Sie entschied sich, ihre Mutter zu besuchen.
Während der kurzen Fahrt warf sie immer wieder einen Blick auf die Blumen. Vom gefühlsmäßigen Standpunkt aus gesehen, wäre es sicher klüger, Mitch Prescott und die Zusammenarbeit mit ihm zu vergessen und es einfach auf Lucetta White ankommen zu lassen. Zugegeben, diese Frau war im wahrsten Sinne des Wortes eine Natter, aber sie konnte Rosamond nichts antun. Oder? Niemand konnte Rosamond verletzen.
Shay biss sich nachdenklich auf die Lippe, als sie auf dem Parkplatz vor dem Sanatorium anhielt. Rosamond war in Sicherheit. Aber galt das auch
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