Tausendschön
irgendwelche Papiere bei sich?«
» Natürlich. Sie hatte ihre Geldbörse in der Gesäßtasche, und darin steckte ihr Führerschein. Die Identifizierung ist dann mithilfe des Bildes auf dem Führerschein geschehen, und außerdem war ja ihre Schwester im Krankenwagen dabei.«
Fredrika verschlug es für einen Augenblick die Sprache.
» Wie bitte?«
» Ihre Schwester … Einen Moment, ich habe den Namen hier«, sagte der Arzt und blätterte in ein paar Papieren. » Johanna. Johanna Ahlbin. Sie war hier und hat ihre Schwester identifiziert.«
Die Gedanken kreisten in Fredrikas Kopf. » Wir haben die Schwester bisher nicht erreichen können«, sagte sie zu dem Arzt. » Wissen Sie, wo sie sich gerade aufhält?«
» Ich habe nicht länger mit ihr gesprochen«, erwiderte Göran Ahlgren müde. » Aber ich erinnere mich, dass sie etwas von einer bevorstehenden Auslandsreise sagte.«
Fredrika merkte, wie der Frust in ihr aufstieg. In den Unterlagen, die sie vom Krankenhaus und von der Polizei erhalten hatte, hatte kein Wort von der Anwesenheit der Schwester gestanden.
» Haben die Polizisten, die im Krankenhaus dabei waren, mit der Schwester gesprochen?«
» Wenn, dann bestimmt nur kurz«, antwortete der Arzt. » Es gab schließlich keinerlei Unklarheiten. Die Verstorbene kam zusammen mit ihrer Schwester an, die wiederum von ihrer Historie berichten konnte. Und außerdem gab es ja keine Schwierigkeiten bei der Identifikation.«
Die Müdigkeit, die ihre Gedanken sonst so träge machte, war mit einem Mal wie weggeblasen. Fredrika packte den Stift fest und starrte vor sich hin.
Johanna Ahlbin war also dabei gewesen, als Karolina starb. Danach war sie ins Ausland gereist und konnte jetzt nicht erreicht werden. Und vor zwei Tagen hatte sich ihr Vater aus Trauer das Leben genommen.
» Wer hat Karolina Ahlbins Eltern mitgeteilt, dass sie gestorben ist?«, fragte Fredrika in unnötig hartem Tonfall.
Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie vermutet, dass der Arzt lächelte, als er antwortete.
» Johanna Ahlbin meinte, dass sie das übernehmen würde.«
» Wissen Sie, ob sie mit jemand anderem wegen des Todesfalls Kontakt aufnahm? Hat sie, während sie im Krankenhaus war, irgendjemanden angerufen?«
» Nicht dass ich wüsste.«
Erstaunt dachte Fredrika über die Geschichte nach, die jetzt Form annahm.
» In welchem Gemütszustand befand sich Johanna Ahlbin?«
Der Arzt zögerte, als würde er die Frage nicht verstehen. » Nun, sie war natürlich aufgebracht, aber nicht auf dramatische Weise.«
» Was heißt das?«
» Dass sie nicht annähernd so fassungslos und verstört war wie andere, wenn sie vom Tod eines Angehörigen erfahren. Ich hatte den Eindruck, als sei die Drogensucht von Karolina Ahlbin in der Familie bekannt und schon seit Langem ein Problem gewesen. Das heißt natürlich nicht, dass der Todesfall zu erwarten gewesen wäre, aber doch, dass die Angehörigen in gewisser Weise damit rechnen mussten, dass die Sache eine unglückliche Wendung nehmen konnte.«
Nicht so ihr Vater, dachte Fredrika matt. Er war in jeder Hinsicht unvorbereitet gewesen. Und erschoss daraufhin erst seine Frau und dann sich selbst.
Sie beendete das Gespräch mit dem Arzt, ohne richtig zu wissen, was sie jetzt eigentlich herausbekommen hatte.
Seltsame Familie. Sehr seltsam, um genau zu sein.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es bald Zeit für die Morgenbesprechung in der Löwengrube war. Sie nahm sich die Papiere vor, die Ellen ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte. Zuoberst lag die Kopie eines Unfallberichts. Der überfahrene Mann ohne Namen. Sie blätterte weiter. Keine neuen Erkenntnisse. Der Arzt, der die Obduktion durchgeführt hatte, wollte sich später melden.
Sie musste an die kleinen Zettel mit den arabischen Schriftzeichen denken, um deren Übersetzung sie gebeten hatte. Wahrscheinlich waren sie nicht von Bedeutung, aber die Spur musste dennoch verfolgt werden.
Der Übersetzer ging nach dem dritten Klingeln ans Telefon.
» Nicht gerade die sauberste Handschrift der Welt«, sagte er.
» Konnten Sie trotzdem lesen, was da steht?«, fragte Fredrika neugierig.
» Ja, natürlich«, gab der Übersetzer zurück und klang fast beleidigt.
Fredrika unterdrückte ein Seufzen. Immer diese Eitelkeiten! So viele Zehen, auf die man treten konnte.
» Nehmen wir erst einmal das, was einfach ist«, begann der Übersetzer. » Das dünne Büchlein, das sie gefunden haben. Das war ein Gebetbuch. Koranverse, nichts
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