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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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Himmel verdunkelte sich, gigantische Wolken wurden von heftigen Böen getrieben und grelle weiße Blitze schossen hervor, gefolgt von ohrenbetäubenden Donnerschlägen. Ein schweres Unwetter zog auf. Der heftige Wind wirbelte unnötige Sachen vor sich her. Dinge, die jahrelang im Schuppen lagerten und nun endlich entsorgt werden sollten.
    Georg würde diese Sachen wenige Tage später dringend benötigen. Nun flogen sie durch die Luft. Die Schuppentür krachte zu. Ich war mir sicher, diesmal auch die Tür hinter mir zuzuschlagen. Fest und unwiderruflich.
    Der Himmel öffnete seine Schleusen, sturzartig prasselte Regen nieder. Der ausgedorrte Boden dampfte. Die Blitze flammten nun blutrot auf. Verästelte Ausrufezeichen, dann hagelte es. Eisblaue Blitze erinnerten an kolossale Wurzeln, die der Erde entrissen wurden. Ein Aufruhr der Elemente tobte da hoch oben über mir. Die Dinge geschahen und ich konnte nur versuchen, mit heiler Haut davon zu kommen. Ich suchte Schutz im Schuppen. Etwas Feuchtes schmiegte sich an meine Beine. Es war Whisky, der eklatante Futterverweigerer. Der kleine Kater zitterte wie Espenlaub.
    „Komm her, du Stromer.“ Ich hob ihn hoch, steckte ihn wärmend unter mein T-Shirt und rubbelte sein Fell. Es musste ihm gefallen haben, denn er wehrte sich nicht. Obwohl er sonst ein ausgeprägter Individualist war.
    Nun war die Luft gereinigt, dazu also sind Gewitter da. Ich ging ins Haus.
    Georg saß in der Küche und trank Kaffee. „Das Gewitter tat gut“, sagte ich und lief in Richtung Bad. Dann drehte ich mich um, lehnte mich an den Türpfosten und lächelte Georg bittersüß an: „In drei Monaten bin ich hier ausgezogen. Reichst du die Scheidung ein oder soll ich das machen?“
    Georg nahm es kommentarlos zur Kenntnis. Als ich vom Duschen zurückkam, war er nicht mehr im Haus.
    Den restlichen Tag nutzte ich, um klar Schiff zu machen.
    Ich griff mir unsere Ordner und sortierte sie aus. Vor mir türmten sich Papierstapel. „Juliastapel“ und „Georgstapel.“
    Mein Gott, was dieser Mann alles aufbewahrte. Von jedem Schriftstück mindestens drei Kopien. Anfangs hatte ich für ihn neue Ordner angelegt. Ich ließ es dann, band lediglich eine Schnur um die Stapel und bedauerte ein bisschen, nicht dabei sein zu können, wenn er sie einsortieren musste.
    Ich hockte inzwischen über den Kisten mit Hunderten von Fotos. Georg war als kleiner Junge recht niedlich, mal von den abstehenden Ohren abgesehen. Die hatte er Lilly vererbt. Wäre unsere Ehe anders verlaufen, wenn sie am Leben geblieben wäre? Beim Betrachten der Fotos stellte ich fest, dass es auch glückliche Tage gab. Ich war im Begriff umzukippen, wollte es einfach noch einmal versuchen.
    Und dann geschah das, was ich schon lange befürchtet hatte. Das altersschwache Regal brach unter der Last der Bücher zusammen. Schuld war vermutlich mein Kater, der auf dem Georgstapel thronte und durch meine Ermahnungen, zu verschwinden, auf das Regal sprang.
    Nun gut, ich wollte die Bücher sowieso aufteilen. Seine Bücher waren schnell auf ein Häufchen gestapelt. Es waren meist Biografien berühmter Menschen. Ich war da nicht so festgelegt und liebte auch schon mal einen guten Krimi.
    An Georgs Büchern vergriff ich mich nie. Er offensichtlich auch nicht. Sie sahen sehr neu aus. Ich griff mir eines und blätterte darin. In der Mitte des Buches fand ich zwei Fotos. Auf dem einen stand eine Frau, Mitte zwanzig, mit einem kleinen Jungen an der Hand. Auf dem zweiten Bild erkannte ich die gleiche Frau, ein paar Jahre älter. Der Junge neben ihr hielt stolz eine Schultüte. Ich betrachtete die Fotos intensiver. Der Kleine hatte abstehende Ohren. Und nach und nach stellte ich fest, dass nicht nur die Ohren nach Georg aussahen. Ich holte mir eine Lupe, suchte nach Fotos aus Georgs Kindheit und war sicher, dort auf den gefundenen Fotos war ein kleiner Georg zu sehen.
     
    Georg kam nach Hause. Ich hatte keine Ahnung, wo er sich den ganzen Tag herumgetrieben hatte. Er sah jämmerlich aus. Aber erstaunlicher Weise war er sehr gut drauf. Er grinste mich an und meinte dann schließlich: „Ich habe heute etwas sehr Dummes gemacht.“
    „So, hast du wieder ein Kind in die Wildbahn gesetzt“, dachte ich. Ich hatte große Mühe, ihn nicht sofort frontal anzugehen. Stattdessen zwängte ich mir ein Gelangweiltes „Ach ja?“ heraus.
    „Willst du nicht wissen, was ich gemacht habe?“
    Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, fügte er hinzu: „Ich habe mir heute ein

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