Tausendundeine Stunde
wahr?“
Georg nickte.
„Ist es dein Sohn?“
„Ich weiß es nicht. Sybille ist verheiratet. Sie hat mir nicht gesagt, dass ich der Vater bin.“
„Ach, dann ist es eine von den Frauen, die ihrem Mann ein Kuckuckskind unterjubeln. Ich denke mal schon, dass du der Vater bist. Wie lange kennst du sie denn schon?“
„Zehn Jahre“, sagte er ohne eine Spur des Bereuens.
„Zehn Jahre? Du hattest zehn Jahre lang neben mir ein Verhältnis mit einer anderen Frau? Das ist der Gipfel. Du bist so, so …“ Mir fehlten die Worte und ich verspürte jetzt doch Lust, ihm irgendetwas an den Kopf zu werfen.
Georg fasste mich am Arm: „ Lass uns das Ganze vernünftig beenden, Juliane.“
Ich war empört. „Nennst du es vernünftig, wenn du unser Sparvermögen verjubelst? Aber mache dir mal keine Hoffnungen, alles, was in der Ehe angeschafft wird, wird geteilt. Bin gespannt, woher du das Geld zaubern willst. Vielleicht borgt dir ja deine Sybille was. Im Übrigen hat sie X-Beine.“
„Du spinnst. Sie hat wohlgeformte Beine.“
„Dann werde ich einmal schnell das Feld räumen, damit sie mit ihren wohlgeformten Stelzen hier hineinstolzieren und alles in Besitz nehmen kann.“
„So eine ist sie nicht. Außerdem hat sie sich für ihren Mann entschieden.“
„Ach, du Ärmster. Da stehst du nun ganz allein da? Ich muss dich jetzt nicht wirklich bemitleiden, oder?“
„Spar dir das, Juliane.“ Georgs Stimme wurde schärfer.
„Ich habe gar nicht mehr so viel Zeit zum Leben, um dir all das zurückzugeben, was du mir angetan hast. Meine Gallensteine, mein Magengeschwür, das geht alles auf dein Konto.“
Ich schmiss die Tür hinter mir zu und verkroch mich ins Bett. Dort konnte ich endlich losheulen.
Ich hörte die Haustür zuknallen. Georg hatte das Haus verlassen.
Ich stand auf und ging ins Arbeitszimmer. Dort sortierte ich noch weitere Unterlagen aus. Ich fand gemalte Bilder von meinen Kindern, Briefe und Ansichtskarten, alte Artikel von mir. Zeugen einer Zeit, die unwiederbringlich vorbei war. Ich packte alles sorgsam ein und war überrascht, wie wenig Platz zwanzig Jahre Erinnerung beanspruchten. Nach und nach begriff ich das ganze Ausmaß der Geschehnisse der letzten Stunden.
„Wer Sorgen hat, hat auch Likör“, sagte ich zu meinem Kater. Ich klemmte ihn mir unter den Arm und lief runter in den Keller. Ich griff nach einer Flasche Rotwein. Nachdem ich die gute Hälfte der Flasche geleert hatte, befand ich mich im Gefühlschaos. Erst betrachtete ich die Geschehnisse mit Wehmut, dann überfiel mich Selbstmitleid, gefolgt von einem unstillbaren Rachegefühl und zu guter Letzt hatte ich nur einen Wunsch: Ich wollte Georg erwürgen. Aber der war ja nicht da. Ich musste mich entladen.
„So“, sagte ich zu meinem Kater, der treu zu meinen Füßen lag, „jetzt sortieren wir das Geschirr aus.“ Ich stolperte in die Küche, riss die Tür des Küchenschrankes auf und griff nach den Sammeltassen, die mir meine Schwiegermutter geschenkt hatte. Ich konnte beide nie wirklich leiden.
Die Tassen nicht und meine Schwiegermutter auch nicht. Und mit jeder Tasse, die nun laut scheppernd am Boden zersprang, fiel auch meine Schwiegermutter Stückchenweise in Scherben. In meiner rasenden Wut griff ich nun auch nach Tellern und Schüsseln. An Geschirr gab es nicht mehr viel aufzuteilen.
Whisky hatte das Weite gesucht.
Ich setzte mich hin und erstellte eine Möbelliste. Das Schlafzimmer hätte ich gern behalten, aber es würde nicht in eine Neubauwohnung passen. Bei zwei Zimmern musste ich eher auf praktische Details, nicht an die schönen denken. Die Küche würde auch nicht in dieses kleine Kabuffchen passen. Also schrieb ich hinter das Schlafzimmer und hinter die Küche „Georg“.
Wo sollte ich schlafen? Wie sollte ich kochen? Unser Gästezimmer könnte ich in mein zukünftiges Schlafzimmer unterbringen. Aber die dort hingestellten Möbel waren schon ziemlich alter Ramsch. Ich könnte die Möbel blau anmalen und mit kitschigen Röschen verzieren. Aber passte das in eine Neubauwohnung?
Es musste passen, denn ich hatte kein Geld, um mir viel Neues kaufen zu können. Die Waschmaschine musste mir Georg abtreten. Der kann seine ausgelabberten Boxershorts von seiner Sybille waschen lassen. Doch die war ja zu ihrem Mann zurückgekehrt.
Georg hatte ja nun einen nagelneuen Jeep, mit dem könnte er zu einer Wäscherei fahren. Was machte ich mir überhaupt Gedanken darum, wie er zu sauberen Shorts kam? Und wieso sollte ich
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