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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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gefeuert. Hätte nicht gedacht, dass man sich über eine Kündigung so freuen kann.“
    Fischi schaut mich verständnisvoll an. Dann öffnet sie ihre Thermoskanne. Duft von Kaffee strömt durch den kleinen Aufenthaltsraum und mischt sich mit dem Geruch unseres Schweißes.
    „Magst du auch einen Schluck?“, fragt sie und wischt sich mit der Hand ihre Stirn trocken.
    Ich schüttle den Kopf und sage: „BGS klingt lustig. Man könnte hier aber auch KSG sagen. Kondomsammelgeschwader. Hab vorhin so ein Ding in der Toilette gefunden. Was die uns hier so zumuten.“
    „War es benutzt?“, fragt sie angewidert.
    „Weiß nicht, so genau wollte ich es nicht untersuchen.“
    Nun schraubt sie ihre Thermoskanne zu und zündet sich noch eine Zigarette an. Sie sieht blass aus, ihr ausgesprochen dürrer Körper wird vermutlich nur von ihrer Jeans und dem engen T-Shirt zusammengehalten. Sie raucht in hastigen Zügen, dann springt sie auf: „Wir müssen weitermachen.“
    Ich ziehe sie zurück: „Mach keine Wellen, wir sitzen hier noch keine zehn Minuten.“
    Widerwillig setzt sie sich auf den Stuhl und schaut verbittert.
    Nach einer kurzen Weile nickt sie und sagt: „Vermutlich hast du Recht. Immerhin werden wir nur für fünf Stunden bezahlt, wann kommen wir hier früher heraus? Vor fünf Uhr doch nie. Jeden Tag zwei Stunden, die wir in den Kamin schreiben können. Echt ’ne Sauerei.“
    Ich nehme einen kräftigen Schluck aus meiner Flasche mit Wasser. Die Büroräume sind noch immer stark aufgeheizt. Allein das Ausleeren meiner zweihundert Papierkörbe treibt mir den Schweiß aus allen Poren.
    „Ja“, sage ich, „das ist frühes Stadium Kapitalismus. Und wenn du es jemanden erzählst, dann ist es, als würdest du sagen: In China fällt ein Fahrrad um. Was meinst du, nach dem wievielten Zimmer würde unser Chef flach liegen und nach Luft japsen? Nach dreißig? Egal, siebzig Zimmer für eine jede von uns sind einfach zu viel. Über kurz oder lang bin ich paranoid. Hinter jeder Büroklammer unter dem Telefon vermute ich Mobbing. Der aus Zimmer 356 hat sich bei unserem Chef über mich beschwert, weil ich seinen Papierkorb links und nicht rechts neben seinen Schreibtisch abgestellt hatte. Ausgerechnet der. Jeden Freitag sammle ich seine abgeschnittenen Fingernägel aus dem Teppich. Na los, Fischi, auf zur letzten Runde.“
    Meine letzten Zimmer muss Fischi zusätzlich putzen. Mich hat die Hexe angeschossen.
    Georg muss mich abholen, denn ich bin nicht mehr in der Lage, Auto zu fahren.
     
    Meine Kündigung erhalte ich per Post, noch während meiner Krankschreibung. Ich lege sie auf den Tisch und verziehe mich ins Bett. Es dauert nicht lange und Georg steht in der Tür. „Ach, hat jetzt auch der zweite Arbeitgeber mitgekriegt, dass du ein gesundheitliches Wrack bist. Mach endlich einen Computerkurs, da kannst du dich mit deinem sackähnlichen Körper auf einem Bürostuhl breit machen.“
    Bevor er zum nächsten Tiefschlag ausholen kann, sage ich leise: „Mach die Tür von außen zu, lass mich einfach nur in Ruhe.“ Das hält ihn nicht davon ab, mich weiter zu attackieren. Er wedelt die Kündigung durch die Luft: „Die zweite Kündigung innerhalb von sieben Wochen. Das ist rekordverdächtig. Ist dir das nicht peinlich?“
    Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf, Tränen rollen über meine Wangen. Endlich geht er.
     
    Meine Nachbarin riss mich aus den Gedanken. Sie schimpfte, weil Whisky wieder einmal in ihrem Garten Schaden angerichtet hatte. Ich entschuldigte mich, mehr konnte ich nicht tun.
    Mein Zorn war verflogen. Was blieb war Trostlosigkeit. Ich fühlte mich allein gelassen. Mir wurde bewusst, dass nun auch das letzte bisschen Zusammengehörigkeitsgefühl, zwischen Georg und mir, gestorben war. Was hielt mich noch bei diesem emotionalen Steinzeitmenschen?
    Ich verdeckte mit meiner Hand die Augen und betrachtete durch die gespreizten Finger die Sonne. Ihre Intensität war so stark, dass ich trotz vorgehaltener Hand, die Augen zu kleinen Schlitzen zusammenkneifen musste. Es war, als würde ich durch ein Kaleidoskop sehen. Mit jedem Wimpernschlag verschmolz das Bild in ein neues. Kleine schillernde Kunstwerke, Geflechte aus zarten Fäden.
    Georg war wie dieses Tagesgestirn. Früher konnte er Freude und Wärme schenken. Aber jetzt wurde er immer häufiger zu einem unbarmherzigen Feuerball, der alles um sich herum nieder brannte. Wie die Sonne, die das Land nun seit Wochen schon ausdörrte.
    Endlich kam Wind auf. Der

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