Tausendundeine Stunde
erwirkt, wonach ich meine Kinder nicht mehr sehen soll. Ich liebe meine Kinder. Mein Sohn André ist vierzehn und Katja ist erwachsen, sie kann das selbst entscheiden. Doch sie ist von Sarah, meiner Frau, sicherlich beeinflusst.
„Mit Ihrer Tochter haben Sie also noch kein Gespräch gesucht? Das sollten Sie nachholen. Möchten Sie mir erzählen, warum es zu dieser Verfügung kam?“
Er schwieg, aber ich hörte ihn atmen.
„Dietrich, wollen Sie darüber nicht reden?“
„Später vielleicht. Fhh, fhh, fhh. Sie rauchen ja schon wieder, das macht Falten.“
„Darum mache ich mir keine Sorgen. Stellen Sie sich vor, letztens beim Tanzen hat sich ein Mann ernsthaft für mich interessiert, der ist fast im Alter meines Sohnes. Wir haben ein Date.“
„Warum sagen Sie nicht Treffen? Es ist schlecht um unsere gute deutsche Muttersprache bestellt. Aber schön für Sie. Letztens habe ich gelesen, dass es im Trend liegt, dass reifere Frauen zunehmend mehr mit jüngeren Männern liiert sind. Ich sage bewusst „reifere“. Er lachte kurz auf. Es war ein jungenhaftes Lachen.
„Nun ja, warum soll dieses Privileg den Männern vorbehalten sein? Ich hatte in letzter Zeit überhaupt einige schöne oder interessante Erfahrungen gemacht. Stellen Sie sich vor, da laufe ich auf der Straße und ein Fahrradfahrer fährt an mir vorbei. Plötzlich bremst er scharf, steigt von seinem Rad ab, läuft auf mich zu, baut sich vor mir auf und sagt: „Fassen Sie das bitte nicht falsch auf, aber das muss ich Ihnen jetzt sagen: Sie haben verdammt schöne Beine.“ Ist doch nett, oder?“
„Haben Sie schöne Beine? Beschreiben Sie mir Ihre Beine. Sind Sie lang? Ich liebe das Geräusch, wenn Frauen Nylons tragen und dann Ihre Beine übereinanderschlagen. Ich liebe es, Frauen beim Laufen zu beobachten. Schade, dass Sie lieber Jeans tragen. Obwohl, so ein wohlgeformter Popo in eng anliegenden Jeans, hmm. Beschreiben Sie mir Ihren Popo?“
Dietrich hatte seine Musik aufgelegt, bei mir brannten ein Dutzend Kerzen. Ich hatte nur noch vage Erinnerungen an Sex, in der Leitung knisterte es vor Erotik. Also beschrieb ich ihm meine Beine und natürlich auch den Po.
Dietrich schnurrte wie ein liebeskranker Kater.
Am Ende des Telefonates gab ich ihm meine Telefonnummer und war um eine Erfahrung reicher: Dietrichs Stimme und ein kleines bisschen Zutun meinerseits, brachten mich zum Höhepunkt.
Kurz nach unserem Gespräch klingelte das Telefon.
Nele rief zurück. „Grüß dich“, sagte sie „du hast auf meinen Anrufbeantworter gesprochen. Ist es jetzt zu spät zum Telefonieren? Bei dir war ziemlich lange besetzt.“
„Nein, es ist nicht zu spät, nett, dass du zurückrufst. Ich wollte dir nur erzählen, dass ich mich am Freitag mit diesem Leon treffe. Ehrlich gesagt, weiß ich im Moment gar nicht, ob ich das noch will.“
Nun erzählte ich ihr die Sache mit Wollinger, wie ich ihn kennengelernt hatte, dass ich für ihn Gefühle entwickelte und von dem Telefonat, das zwanzig Minuten vor ihrem Anruf stattfand.
„Ich glaube, du solltest die Finger von diesem Mann lassen. Wenn du ihn auf der Hotline kennengelernt hast, dann will der doch nur eins: Telefonsex. Und das auch noch zum Nulltarif, denn bisher hast du ihn ja immer angerufen.“
„Nein, so einer ist Dietrich nicht. Außerdem konnte er mich ja gar nicht anrufen. Ich habe ihm ja heute erst meine Nummer gegeben.“
Nele stöhnte. „Oje, du verteidigst ihn. Was ist mit uns Frauen bloß los? Caroline hat ihren Mann auch wieder mit offenen Armen empfangen.“
„Ach, das weißt du also schon?“, fragte ich.
Ihr „Hm“ klang spitz und mir gab sie im gleichen Tonfall mit auf den Weg, Leon unbedingt zu treffen und diesen Wolliger abzuschießen.
Hatte sie Recht? Nutzte mich Dietrich nur aus? Ich wollte ihn sofort mit dieser Frage konfrontieren, obwohl es schon sehr spät war. Ich wählte seine Nummer. Sie war besetzt. Wieso war sie besetzt? Mit wem telefonierte dieser Mann außer mit mir und das um diese Zeit? Ich drückte auf Wahlwiederholung. Noch immer dieses Tut-tut-tut. Es war mehr als dreißig Minuten her, als ich seine Nummer gewählt hatte. Und während ich immer wieder auf die Wahlwiederholungstaste drückte und das Tut-tut-tut vernahm, wurde mir bewusst, dass ich ihn bereits vereinnahmte. Ich klammerte. Wie viele Gespräche hatten wir miteinander geführt? Vier, fünf? War er mir deshalb bereits verpflichtet? Ja. Schließlich hatten wir einen Orgasmus miteinander
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