Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
Vom Netzwerk:
machen«, sagte Tossi, »so gegen fünf?«
    »Ein anderes Mal«, sagte ich. Dabei wäre ich ganz gern mitgekommen. Im Lallebei war ich noch nie gewesen. Dort traf sich mehr so die Regenbogen-Fahrerszene. Aber bis fünf hielt ich schon längst nicht mehr durch.
49
    Ich wachte davon auf, dass Majewski vor meinem Bett stand. Er hatte die Nachttischlampe angeknipst und richtete die grelle Glühbirne auf mein Gesicht.
    »Ich wollte nur sehen, ob du schon schläfst. Ich habe einen Job für dich. Die brauchen ein Fotomodell, eine, die groß und blond ist und breite Schultern hat. Ich hab gesagt, ich kenn eine, und jetzt wollen die dich mal ansehen. Es geht um ein Titelbild für die Quick. Wird aber hier produziert.«
    Es kam mir unwirklich vor, mitten in der Nacht durch die stillen, kahlen Gänge des Feldstraßenbunkers zu laufen, und dann in diesem Fotostudio zu landen, das so sparsam beleuchtet war, als dürfe niemand mitkriegen, dass hier nachts um eins noch gearbeitet wurde.
    »Das macht dir doch nichts? Oder hast du damit ein Problem?«, fragte Brie. Brie hatte kurze braune Locken und war klein und drahtig wie ein Foxterrier. Sie beugte sich über einen Tisch, auf dem sie Bilder hin und her schob. Es gab noch zwei Tische. Auf jedem brannte eine Lampe mit tief heruntergezogenem Schirm.
    »Wahrscheinlich bleibt nur dein Oberkörper frei«, sagte Martin. Martin war der Fotograf. Er sah gut aus, der bleiche, aristokratische Typ, und er schien nett zu sein. Er erklärte mir, wie er sich die Aufnahme vorstellte. Ich sollte mich nackt mit einer Deutschlandfahne auf dem Boden wälzen und eine Windmaschine würde dafür sorgen, dass das nicht blöd aussah. Später würde dann noch die Berliner Mauer ins Bild retuschiert werden und dann würde das Ganze einen Sinn ergeben, der sich nur mir noch nicht erschloss. Während Martin erklärte, trabte Majewski wie ein Ponyhengst um Brie herum und beugte sich von hinten über ihre Schulter.
    »Nee, macht mir nichts«, sagte ich, »hab ich keine Probleme mit.«
    Sechshundert Mark sollte ich für die Fotos bekommen. Dafür hätte ich mich auch nackt in einem Schweinetrog gewälzt. Majewski trabte zu mir herüber und demonstrierte seine Besitzrechte, indem er mich auf die Wange küsste. Er sagte es nicht, aber ich sah ihm an, dass er fand, ich habe ihm viel zu verdanken. Natürlich machte ich es nicht nur wegen des Geldes. Es gab da noch diesen anderen Grund. Denselben Grund, weswegen auch die Typen von Mensa ihren Intelligenztest gemacht hatten. Alles in unserem Leben sprach dafür, dass wir Nieten waren, dass wir es nicht gebracht hatten und auch nicht mehr bringen würden, und deswegen wollten wir es schriftlich haben oder als Foto, dass wir klug genug oder schön genug waren. Dass wir zu irgendetwas taugten.
50
    So deprimiert war ich lange nicht mehr gewesen. Ich hatte mich darauf eingestellt, mit dem Geld für die Fotos eine Weile Pause machen zu können. Wurde ja auch Zeit. Aber Majewski sagte, dass die Überweisung frühestens in sechs Wochen eintreffen könnte. Also musste ich weiter ran. Demütigungen und Trinkgelder und der Gestank nach Urin und Rotwein, Straßen, die ich nicht kannte, fette Feuilletonredakteure mit Fünfzig-Mark-Scheinen und Fahrräder mit platten Reifen und Nusske, der für seine Kredite schuftete.
    Manchmal stand ich mit dem Taxi vor einer roten Ampel und die Zeit blieb stehen. Ich stand vor diesem roten Licht und nichts tat sich, nichts änderte sich. Ich hatte Gelegenheit, mir alles Mögliche durch den Kopf gehen zu lassen. Was das wohl für eine Frau war, mit der Marco sich jetzt traf. Ob sie groß war? Ob sie klug genug war, dass sie Marco nicht langweilte? Oder was das für ein Mensch war, der die Lotteriebriefe verfasste. Wie konnte man sich so gut in den Ängsten, Schwächen und Sehnsüchten seiner Mitmenschen auskennen und das gegen sie benutzen, ohne auch nur von einem Hauch von Mitgefühl behindert zu werden? Aber eigentlich konnte ich das ja auch Majewski fragen. Wenn ich zehn oder zwanzig Minuten später wieder auf die Ampel schaute, war sie immer noch rot. Es konnte gar nicht angehen. Die Schaltung musste kaputt sein. Aber dann sprang die Ampel schließlich doch um. Es lag also an mir. Ich funktionierte nicht mehr. Manchmal stellten die Fahrgäste ihre blöden Fragen, und ich antwortete einfach nicht. Manchmal vergaß ich, dass jemand auf dem Rücksitz saß, und ich schlug plötzlich den Weg zur Firma ein, um das Taxi abzustellen. Bis das Gezeter

Weitere Kostenlose Bücher