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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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davon, dass der Fluss so angeschwollen war, dass er nur noch aus Brüllwasser bestand und man sofort unterging, wenn man hineinfiel.
    »Brüllwasser trägt nicht, da ist zu viel Luft drin. Die Boote hat es gerade noch getragen. Man durfte eben nicht reinfallen. Kommst du mit hoch? Ich möchte jetzt gleich mit dir schlafen.«
    Seine Hände malten Kreise auf meinen Rücken.
    »Na komm. Bitte. Wo ich so lange weg war.«
    Er küsste mich und drückte gleichzeitig seine Daumen in meine Ohren. Mir wurde ein bisschen schwindlig.
    »Okay«, sagte ich.
    »Toll! Kannst du zwei von den Taschen nehmen? Die sind schwer.«
    Wir stapften die Treppe hinauf. Als wir an Dietrichs Wohnungstür vorbeikamen, wurde mir ganz flau. Ich hatte immer Angst, dass er plötzlich herauskommen und mich mit den Käthe-Kollwitz-Augen anschauen könnte. Und als Majewskis Taschenträger wollte ich erst recht nicht gesehen werden. Oben stellte ich die Taschen in den Flur vor die Pappkartons und ging gleich ins Schlafzimmer.
    »Was ist?«, fragte ich.
    »Ich komm gleich, ich muss nur noch eben im Verlag anrufen.«
    Ich zog meine Schuhe aus, legte mich auf sein Wasserbett, schaukelte hin und her und wartete. Ich hörte, wie Majewski ein Zimmer weiter ins Telefon lachte. Ich nahm mir eine der Zeitschriften, die auf dem Fußboden lagen, und blätterte sie durch. Majewski lachte und schwatzte ins Telefon. Er nahm sich alle Zeit der Welt. Es hörte sich an, als wenn er mit einer Frau flirtete. Ich stand auf und ging zur Toilette. Er sah nicht einmal auf, als ich an ihm vorbeiging, und telefonierte immer noch, als ich seine Wohnung verließ und die Tür hinter mir zuzog. Kaum war ich wieder unten bei mir, kam Majewski das Treppenhaus heruntergeschossen.
    »Entschuldige. Ich wusste nicht, dass das so lange dauert. Aber es war ganz wichtig. Ich konnte das nicht aufschieben. Ich mach jetzt keine Anrufe mehr. Ich schwör’s.«
    Seine Hände wühlten sich unter meine Kleider und blieben zwischen Baumwolle und Haut liegen. Ich lehnte mich an ihn.
    »Schlafen wir heute Nacht bei dir?«, fragte Majewski.
    »Ja gut.«
    »Oder getrennt: ich bei mir oben, du unten?«
    Schlagartig wurde ich wieder sehr müde. Es war unendlich anstrengend, auch nur einen Arm zu bewegen.
    »Meinetwegen«, sagte ich und ließ ihn los.
    Majewski lachte.
    »Mann, hab ich vielleicht Sackkrebs. Wir sind die ganze Zeit gepaddelt, und abends war ich dann so kaputt, dass ich nie dazu gekommen bin, mir einen runterzuholen.«
    Ich sah auf meine Armbanduhr. Majewski lächelte und streckte mir eine Hand entgegen.
    »Ich habe überhaupt keine Lust mehr, erst noch zu mir zu gehen«
    »Dann bleib doch gleich hier.«
    »Nein, ich muss erst nach oben, meine Post durchsehen.«
    Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er:
    »Also, dann schlafen wir getrennt, nicht?«
    Ich nickte und sah woandershin. Das Schlimmste war, dass ich mich schon daran gewöhnt hatte, so behandelt zu werden. Ich hatte gedacht, es käme nicht darauf an, weil ich Majewski nicht liebte. Ich hatte nicht gemerkt, wie es mich schleichend vergiftete. Mein fehlender Widerstand musste eine unerträgliche Herausforderung für ihn sein.
    »Ja gut, dann schlafen wir halt getrennt«, sagte Majewski und lächelte kalt.
54
    Kaum war er aus der Tür, empfand ich ein überwältigendes Bedürfnis nach einer Dusche. Ich duschte eine halbe Stunde lang, zuerst so heiß, dass ich mich beinahe verbrühte, und am Schluss so lange kalt, bis ich anfing, mit den Zähnen zu klappern. Ich schrubbte meine Haut, bis sie ganz rot war. Dann zog ich mich komplett neu an, Unterwäsche, Jeans, Flanellhemd; ich zog sogar andere Stiefel an. Dann lief ich hinunter zu meinem Fahrrad. Es war natürlich platt. Ich pumpte es auf und war sofort wieder verschwitzt. Das Duschen hätte ich mir schenken können. Ich schwang mich in den Sattel, aber noch bevor ich das Hoftor erreicht hatte, war das Fahrrad schon wieder platt. Was war das bloß für eine absichtsvolle Institution, die die Religionen da immer voraussetzten? War das wirklich wünschenswert, dass so jemand existierte – ein Gott, der seine Befriedigung darin fand, uns mit alltäglichen Schikanen in den Wahnsinn zu treiben? Für Weltfrieden und Gerechtigkeit blieb da natürlich keine Zeit mehr, weil: wir sind ja damit beschäftigt, Glassplitter und kleine spitze Steine in die Fahrradschläuche von sowieso schon völlig verzweifelten Leuten zu drücken.
    Ich packte das Rad und schleuderte es gegen die

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