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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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die Nacht über den blinden Bildhauer im Internet recherchiert. Nichts, was auch nur annähernd etwas mit seiner Biographie und seinem Schaffen zu tun hatte, ließ sie aus. Zum Schluss schaute sie sich noch einmal die Bilder seiner Werke an und schlief darüber ein.
    Sie wachte spät auf. Mit zerzaustem Haar rieb sie sich die Augen, dann schaute sie auf die Uhr, sprang eilig aus dem Bett, schob die Vorhänge zur Seite und öffnete die Fenster. Von den Straßen drang der Tumult geschäftiger Menschen und vorbeifahrender Autos herein. Das Frühstücksbuffet hatte sie verpasst. Sie duschte sich rasch, schlüpfte erst mit dem einen Bein, dann mit dem anderen in ihre Jeans und zog sie hoch. Dann zog sie sich das T-Shirt über den nackten Oberkörper. Seitdem sie sich den Rücken hatte tätowieren lassen, trug sie keinen BH mehr. Die alphabetisierte Haut war seither empfindlicher, und wenn sie sich setzte, lehnte sie sich immer nur mit einer Schulter an die Lehne.
    Sie ging hinunter in das Straßencafé gegenüber dem Hotel. Die kleinen Tische standen eng beisammen. Lisa bestellte einen Kaffee. Als man ihn gebracht hatte, sah sie sich suchend um. Von zwei Nachbartischen gleichzeitig bekam sie einen Zuckerstreuer gereicht. Lisa schaute zuerst auf die Zuckerstreuer, dann auf die charmant lächelnden Männer. Sie schüttelte den Kopf, bedankte sich kühl und griff nach den Servietten. Sie nahm einen Schluck Kaffee und schaltete ihren Laptop ein. Wieder suchte sie im Internet nach Informationen. Die Zeit, die sie mit Schlafen vergeudet hatte, wollte sie wieder aufholen, um ihr schlechtes Gewissen so schnell wie möglich loszuwerden. Aber sie fand nichts Neues mehr über Alexander. Die knappen Biographien und die Fotos hatte sie alle schon durchgekaut, also durchforstete sie wieder allgemeine Artikel über Blinde.
    Einer der Männer vom Nebentisch versuchte immer wieder, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Lisa sah jedoch zu einem verliebten Pärchen hinüber, das laut lachte. Die Frau legte dem Mann ihre Arme um den Nacken, er strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
    Vor ein paar Monaten hatte sich Lisa von ihrem Freund getrennt. Jetzt ertappte sie sich dabei, wie sie sich nach dieser Art von Harmonie sehnte. Allerdings war ihre eigene Beziehung alles andere als harmonisch gewesen. Die fordernde und eifersüchtige Art ihres Freundes hatte sie gestört, seitdem sie sich kennengelernt hatten. Er wiederum hatte sich immer wieder über Lisas offenherzige, manchmal sogar kokettierende Art beschwert, und auch daran, wie sie sich anzog, hatte er etwas auszusetzen. Mehrmals hatte er sie gebeten, doch einen BH zu tragen, da ihre große Oberweite doch recht auffällig war …
    Sie waren ein kompliziertes Paar. Nur im Bett verstanden sie sich gut. Aber sobald sie unter die Leute gingen, fingen die Streitereien an. Eigentlich hasste es Lisa, allein zu sein. Doch was sie noch mehr hasste, waren Vorschriften. Darum verbot sie ihm bald, sich in ihr Leben einzumischen, und nicht lange danach beendete sie die Beziehung. Ihr Freund versuchte noch einmal, sie zurückzugewinnen, aber Lisa blieb stur.
    Schon ganz mechanisch tippte Lisa die Stichworte in die Suchmaschine ein: Blinder, blinder Künstler, blind … In einem Forum stieß sie dann auf diesen Chat:
    »Stell dir vor, er sieht weder deine Cellulitis noch deine Schwangerschaftsstreifen. Kannst dich problemlos vor ihm ausziehen!«
    »Hauptsache, er schaut keiner anderen hinterher! :)))))«
    »Blinde sind ja soooo sensibel … die haben Hände aus Gold!!! Das muss man einfach erlebt haben ;)«
    Lisa kicherte über die Kommentare und ging dann zu anderen Seiten weiter.
    Das verliebte Pärchen trank gemeinsam aus einem Glas Saft. Der Mann hielt das Gesicht der Frau mit seinen Händen umschlossen. Lisa versuchte plötzlich, sich vorzustellen, wie es wohl sei, die Konturen eines Gesichtes nur mit den Fingern zu ertasten, den Körper nur mit den Fingern zu spüren, alle Dinge nur mit den Fingern zu erkennen und die ganze Welt nur mit den Fingern wahrzunehmen …
    ***
    »Wer könnte meine Werke denn besser einschätzen als ich selbst?« Gereizt klopfte er mit den Fingern auf das Knie. »Ich bin mit einigen Kritikern befreundet, deren Rat ich mir auch anhöre. Aber nur selten befolge«, fügte er hinzu.
    ***
    Während ihrer Internetrecherche stieß sie unter anderem auch auf eine Seite, mit der man normale Texte in Brailleschrift umsetzen konnte. Den Brief an Alexanders Agenten hatte sie bereits aus

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