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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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der Redaktion abgeschickt, bisher jedoch noch keine Antwort erhalten. ›Ich lasse ihn in Brailleschrift umsetzen und schicke ihn dann noch einmal ab‹, dachte sich Lisa, bezahlte schnell und verließ das Café.
    Ein Kopierladen mit Brailledrucker war nicht zu finden, darum fuhr Lisa wieder zur Blindenschule. Dort traf sie eine Psychologin, die schon zu Alexanders Schulzeit hier gearbeitet hatte und die die Sekretärin beauftragte, den Brief für Lisa auszudrucken. Sie bot Lisa einen Tee an. Während sie miteinander Tee tranken, erzählte die Psychologin begeistert ein paar Geschichten aus dem Schulalltag und berichtete auch von der Entdeckung des modernen Michelangelo. Sie fuhr noch einmal über den ausgedruckten Brief, lächelte Lisa an und sagte:
    »Ich bezweifle, dass Sie ihn damit werden überreden können. Er war schon als Kind äußerst schwierig und verschlossen. Man könnte sogar sagen, stur … Ich vermute, er hat sich seitdem nicht sehr verändert …«
    Lisa bedankte sich bei ihr und steckte den Brief in ihre Tasche. Ihre Bitte um ein Interview hatte nun die geeignete Form.
    ***
    »Ihre Skulpturen sind sehr beliebt. Aber natürlich interessieren sich die Menschen nicht nur für Ihre Werke, sondern auch für Ihre Person … Warum leben Sie so zurückgezogen? Warum meiden Sie die Öffentlichkeit? Ist zwischenmenschlicher Kontakt für Sie nicht wichtig?« Lisa setzte sich im Sessel auf und richtete ihren engen Blazer.
    »Ich bekomme haufenweise Briefe. Meine Werke sind die besten Antworten. Damit ist alles gesagt.« Alexander selbst blieb starr wie eine Statue. »Aufträge nehme ich keine an«, fügte er knapp hinzu.
    ***
    Die Worte der Psychologin gingen Lisa nicht mehr aus dem Kopf. »Ich bezweifle, dass Sie ihn damit werden überreden können …«, kreiste es in ihren Gedanken.›Ich muss den Brief umformulieren … Irgendetwas fehlt. Aber was? Was könnte man bloß ändern?‹ Als ihr endlich klar wurde, dass sie nach diesem »Etwas« in seiner Vergangenheit suchen musste, beschloss sie, seine Grundschule aufzusuchen. Sie fuhr mit dem Bus in die Nachbarstadt, von wo aus es keinen weiteren Anschluss mehr gab, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als sich ein Fahrrad zu leihen. Bis zum Zielort waren es noch fünfzehn Kilometer. Es war ein sonniger Tag. Vergnügt radelte sie die Allee entlang, deren Bäume sich oben mit den Ästen berührten, so dass die Blätter von den Sonnenstrahlen wie Spitzen auf dem Boden abgelichtet wurden. Sie machte ein paar Fotos und dachte abermals darüber nach, wie es wohl wäre, blind zu sein … Wenn man schon blind zur Welt gekommen ist, dann existiert die sichtbare Welt für einen einfach nicht … aber wenn man erst einmal diesen Weg gesehen hat, die vergoldeten Bäume angeschaut, die bläulichen Tannen, die schwarz schimmernden Brombeeren in den Büschen und im Hintergrund die dunkelgrünen Hügel und die Schatten der Wolken darauf, dann wird man sich wohl nie an die blinde Leere gewöhnen können …
    Lisa erblickte auf der Straße einen blutfarbenen Fleck. Als sie näher kam, stellte sich heraus, dass es nur ein paar zerquetschte Beeren waren. Sie stieß noch auf weitere solche Flecken. Herabgefallene Blätter lagen wie tote Schmetterlinge auf der Erde. In Gedanken versunken fuhr sie plötzlich über etwas Holpriges. Sie hielt an, blickte zurück und sah eine schimmernde Blindschleiche, deren durchtrennte Hälften sich krümmten und wanden. Lisa hielt sich die Augen zu und erschauderte am ganzen Körper. Sie trat in die Pedale und machte, dass sie weiterkam.
    Der Unterricht war schon vorüber. Der Hausmeister ließ sie nur widerwillig in das Gebäude. Endlich fand sie einen Angestellten, der bereit war, ihr die Akten aus dem Archiv zu holen. Sie schrieb sich die Namen von Alexanders Klassenkameraden heraus. Wieder zurück in der Stadt fing sie an, einen nach dem anderen anzurufen. Bei einigen gab es die Nummer nicht mehr, andere legten einfach auf, wieder andere befanden sich zurzeit im Ausland. Aber schließlich sprach sie mit einer Frau, die sich zu einem Treffen überreden ließ.
    Die Frau lud Lisa ein, bei ihr vorbeizukommen. Lisa hatte nie Probleme damit gehabt, mit Fremden in Kontakt zu treten, und so wurde sie auch mit ihr schnell warm. Der Flur des Hauses war so eng, dass sie beide kaum hineinpassten. Nur mit Mühe konnte Lisa die Tür hinter sich schließen. Im Haus war es stickig. Die Frau führte sie in die Küche und setzte Wasser auf. Wegen

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