Teeblätter und Taschendiebe
Haufen halbbesoffener Kellner, die Champagner über die Gäste gießen. Gib lieber anschließend jedem eine Flasche mit nach Hause, wenn noch genug übrig sein sollte.«
Was natürlich nicht bedeutete, daß irgend jemand Jeremy Kelling davon abhalten konnten, sich seinen üblichen Riesenmartini zu genehmigen. Und er hätte ihn höchstwahrscheinlich auch noch mit der hübschesten und albernsten jungen
Schauspielerin geteilt, wenn Sarah ihm nicht gedroht hätte, ihm den Hals umzudrehen, sobald er es versuchen würde.
»Gott im Himmel, du bist ja noch prüder als Tante Matilda«, zischte Jem wütend. »Seit wann ist es verboten, daß ein Mann in einer selbstlosen Geste einer Dame eine kleine Erfrischung anbietet?«
»Hier soll eine Auktion stattfinden und kein wildes Saufgelage«, wies Sarah ihn ungerührt zurecht. »Gib Dolph was davon ab, wenn du unbedingt den Selbstlosen spielen willst. Er sieht aus, als könnte er momentan ein mildes Anästhetikum gut gebrauchen. Ach du liebe Zeit, ist das etwa schon Tante Emmas Bus?«
Sie hatte richtig geraten, aber der Bus war keineswegs zu früh. Die Zeit war wieder einmal wie im Fluge vergangen, genau wie sie es immer zu tun pflegt, wenn man dringend eine halbe Stunde zum Verschnaufen brauchte. Emma rauschte als Anführerin ihrer Truppe in den Saal, begrüßte ihre Verwandten überschwenglich, geriet völlig in Verzückung über die vielen wunderschönen Blumen in den Fayence-Jardinieren, bewunderte die Kellner und Kellnerinnen in ihren amüsanten Kostümen, die köstlichen Cocktailhäppchen auf den Silberplatten und die silbernen Champagnerkühler.
»Absolut perfekt! Ich hätte es selbst nicht besser machen können!«
Aus Emmas Mund bedeutete dies höchstes Lob. »Ganz ehrlich, liebste Mary, im Moment sind wir noch kein bißchen hungrig. Wir haben im Bus ein kleines Picknick veranstaltet. Laß uns schnell dafür sorgen, daß alle ablegen können, damit wir die Stühle für die Musiker aufstellen können. Es wäre wirklich reizend, wenn ein paar von den starken jungen Herren das Klavier vielleicht ein winziges kleines bißchen näher an die Tür schieben könnten -«
Den starken jungen Herren ging es wie allen anderen jungen Herren: Sie fühlten sich geehrt, Emma Kelling behilflich sein zu dürfen.
Das Klavier wurde umgestellt, und schon bald konnten die Streicher und Holzbläser ihre Plätze einnehmen.
»Die Blechbläser und Kesselpauken haben wir nicht mitgebracht, wir wollten schließlich unseren Auktionator nicht übertönen. Heute spielen wir nur ruhige, romantische Kuschelmusik, damit allen schön warm ums Herz wird. Was hältst du davon?«
»Da fragst du noch?« Sarah gab ihrer Lieblingstante noch einen Kuß und hoffte inständig, daß Mary daran gedacht hatte, das Klavier stimmen zu lassen.
Emma nahm ihren Platz an den Tasten ein und schlug ein A an. Es klang lupenrein. Alles würde wie geschmiert laufen.
»Um Himmels willen, Sarah, hast du nichts anderes zum Anziehen dabei?« murmelte Max. Sarah schnappte nach Luft. Alle waren fertig, nur sie nicht.
Sie floh ins obere Stockwerk und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, die Räume hinter sich zu verriegeln. Als sie zurückkam, trug sie ein rosenfarbenes langes Samtkleid und dazu das Collier mit den erbsengroßen Perlen, das Max genau sechs Minuten, nachdem sie ihn angerufen und ihm die freudige Mitteilung gemacht hatte, daß sie schwanger sei, bei einem Juwelier in Zürich erstanden hatte. Inzwischen strömten immer mehr potentielle Käufer ins Haus, und der Champagner begann zu fließen.
Als Sarah die Treppe herunterkam, stellte sie belustigt fest, daß Osmond Loveday sich unmittelbar hinter der Eingangstür postiert hatte. Er trug tatsächlich einen Smoking und begrüßte die Neuankömmlinge, als sei er der Gastgeber. Sollte er doch, wenn es ihm Spaß machte! Diejenigen, die von ihm wiedererkannt wurden, fühlten sich zweifellos geschmeichelt, daß er sich an ihre Namen erinnerte, und die übrigen hielten ihn wahrscheinlich für den Butler. Dolph und Mary waren bestimmt erleichtert, daß er ihnen die lästige Pflicht abnahm.
Sie hatten beschlossen, Punkt acht Uhr mit der Versteigerung zu beginnen, egal, ob genug Leute da waren oder nicht, doch es bestand anscheinend gar kein Grund zur Sorge. Als Jeremy Kelling das Podest bestieg und nach dem Hammer griff, waren fast alle Stühle im Saal besetzt. Als Jems Eröffnungsschlag laut und deutlich bis in die Eingangshalle hinausdröhnte, gab Osmond
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