Tegernseer Seilschaften
würde, und schob deshalb hinterher: »Was anderes ist es natürlich, wenn schon ein Kind da ist, das schon gröÃer ist, also eines, das bereits früher gemacht worden ist. Da ist das eine völlig andere Situation, und ein neuer Partner kann sich über so ein Kind natürlich genauso freuen und es mit der Zeit quasi auch als sein eigenes sehen ⦠wenn er sich anstrengt.«
Bereits während Kastner dies sagte, hatte Anne sich abgewandt, um auf den See hinunterzublicken, der still und wellenlos dalag, als hätte jemand die Welt im Tal für einen Augenblick angehalten. Dass Kastner immer alles auf sich beziehen musste! Und auch diese ganze Anbaggerei fand sie unerträglich.
»Und, habtâs was gâfunden?«, rief ihnen Nonnenmacher auf dem Flur der Dienststelle entgegen, noch bevor sie ihr Zimmer betreten konnten.
»Ja, schon«, erwiderte Anne und erzählte ihm von dem Brief.
»Aber keine Sexspielsachen?«, hakte Nonnenmacher nach und wirkte dabei fast ein bisschen erleichtert.
»Na, nix«, antwortete Kastner. »Und ob das ein Brief von einer Geliebten ist, das muss sich auch noch erst herausstellen.«
»Ist doch prima«, meinte Nonnenmacher, wobei er kurz stutzte, was für ein komisches Wort er da verwendet hatte. »Prima« sagte man in Bayern genauso wenig wie »lecker«, »gut« war ein völlig ausreichendes Wort zur Bezeichnung herausragender Zustände, aber dass er jetzt schon so daherredete, hatte sicher mit der Kollegin zu tun. Dann sagte er noch: »Na dann mal los«, was im Nachhall irgendwie genauso seltsam klang und sogar Sepp Kastner irritierte.
»Was bistân heut so gut drauf?«, fragte er den Chef erstaunt.
»Ich?«, begehrte Nonnenmacher auf, als fühle er sich ertappt. »Ich bin doch immer gut drauf.«
Sepp Kastner schwieg kurz, lauschte â von unten waren die gedämpften Gespräche aus dem Eingangsbereich zu hören â, dann rief er: »Aha! Verstehe! Dein Herr Magen schweigt. Da liegt der Hund begraben!«
Nonnenmacher schwieg und strich sich nur ein wenig verlegen mit der Hand über den Bart. Kastner bohrte frech nach: »Haben die Gelben Rüben doch gewirkt, ha?«
»Essâ ich nicht, bin kein Hase«, erwiderte Nonnenmacher knapp und bestimmt. Dass die Reisdiät aus der Frauenzeitschrift ihm tatsächlich geholfen hatte, wollte er keinesfalls preisgeben. Kollegen mussten nicht alles wissen. Lieber wollte er zu den wirklich wichtigen Themen zurückkehren und fragte deshalb: »Was steht jetzt ermittlungstechnisch als Nächstes an?«
»Ich dachte mir«, sagte Anne, »dass wir jetzt auch noch die Stammtischbrüder zu der Strangulationsthematik vernehmen sollten. SchlieÃlich haben die vermutlich mehr Zeit mit Fichtner verbracht als seine Frau. Und was ich immer so höre, tauschen sich Männerfreunde ja auch manchmal über sexuelle Themen aus.«
Darauf wollte Nonnenmacher nun nicht direkt antworten, deshalb meinte er nur: »Gut, warum nicht« und fasste insgeheim den Plan, bei dieser Sexvernehmung lieber nicht dabei zu sein, denn aus seiner Erfahrung war der Tegernseer Mann, von einem Tegernseer Stammtisch ganz zu schweigen, in Sexthemen eher nicht so gesprächig, bestenfalls zotig. Das konnte schon mal lustig sein, aber vermutlich eher nicht, wenn diese Loop mit dabei war. »Und diese Vernehmung wollen also Sie durchführen, Frau Loop?«, wollte er noch wissen, was aber natürlich nur rein rhetorisch gemeint war.
Anne nickte. »Gemeinsam mit Sepp. Es soll ja auch keine richtige Vernehmung werden ⦠nennen wir es ein informelles Gespräch. Die drei sitzen vermutlich sowieso wieder im Bräustüberl.«
»Das Helle möge ihnen die Zunge lockern, aber nicht die Triebe«, merkte Nonnenmacher noch an und wandte sich rein alibimäÃig seinem Computer zu. Mit dieser letzten Aussage konnte Anne allerdings überhaupt nichts anfangen. Manchmal redete ihr Chef einfach wirres Zeug.
Wie ein glänzender Magnet erstrahlte die ockerfarbene Fassade des Tegernseer Bräustüberls in der Frühlingssonne. Es war wieder ein sommerlich warmer Frühlingstag, und Anne Loop und Sepp Kastner erkannten bereits von Weitem, dass heute nicht nur die üblichen Stammgäste der Traditionswirtschaft gekommen waren, um ihren Durst und Hunger zu stillen: Die beiden Polizisten hatten die Bänke und Tische des
Weitere Kostenlose Bücher