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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Mäzen hervorgetan hat?«, fragte Anne vorsichtig.
    Â»Ja mei, er hat es halt von den Geschäftsleuten genommen und den Bedürftigen gegeben, gell, so seh’ ich das. Warum meinen Sie?«
    Â»Ach, nur so«, sagte Anne gedankenverloren, während sie gerade den Spiegelschrank im Schlafzimmer des toten Milliardärs öffnete. Dann fragte sie aber wie elektrisiert: »Und was ist das?« Sie hielt eine Packung mit der Aufschrift »Cymbalta« in der Hand.
    Â»Oh, das hat der Herr Kürschner immer genommen, wenn er Angst bekommen hat.«
    Â»Wie meinen Sie das: ›Angst bekommen‹?«, fragte Anne erstaunt nach.
    Â»Der Herr Kürschner hat immer Angst gehabt, dass er kein Geld mehr haben könnt’. Da ist er dann ganz traurig geworden, und dann hat er dieses Medikament genommen. Auch, weil er nicht mehr hat schlafen können wegen der Angst. Aber das Medikament hat ihm dann immer geholfen, und dann ging’s ihm schon gleich besser«, erklärte die Haushälterin in einem um Verständnis heischenden Tonfall. Als sie Annes verstörten Blick wahrnahm, fügte sie hinzu, dass sich Anne das doch einmal vorstellen müsse, wie viel Verantwortung der Herr Kürschner gehabt habe, schon von jungen Jahren an. Schließlich hätten ja Tausende von Menschen von seinem Erfolg und seiner Arbeit gelebt. Da sei es ja wohl klar, dass das einem manchmal Angst mache und man nicht schlafen könne wegen all der Sorgen.
    Â»Ja schon«, meinte Anne. »Aber wissen Sie, Frau Gsell, Cymbalta ist ein richtig schweres Geschütz, das geht direkt ins zentrale Nervensystem. Hat der Herr Kürschner das oft genommen? War er davon abhängig?«
    Â»Nein, nein, Herr Kürschner war nicht süchtig«, beschwichtigte die Haushälterin hastig, »er hat es halt genommen, wie unsereins eine Kopfschmerztablette nimmt. Das müssen Sie doch verstehen, dass, wenn man eine solche Verantwortung trägt die ganze Zeit, dass das kein normaler Mensch aushalten kann, gerade auch heutzutage … mit der Wirtschaftskrise. Der Herr Merckle ist doch auch vor den Zug gesprungen.« Sie zögerte. »Wobei ich ja vermute, dass das überhaupt kein Selbstmord war«, jetzt flüsterte sie, während Anne die Augenbrauen hochzog. »Ich glaube, dass hinter dem Merckle seinem Tod die Mafia steckt.«
    Anne nickte verschwörerisch und gab der Tür des von einem Goldrahmen gefassten Spiegelschranks einen Stups, woraufhin sie sich fast lautlos schloss.
    Unter dem Waschbecken stand ein zylinderförmiges goldenes Gefäß. Als Anne fragte, was das sei, antwortete Gsell hastig: »Oh, das ist nur der Badezimmerabfalleimer, aber warten Sie, den habe ich, glaube ich, noch gar nicht geleert. Da ist vielleicht noch etwas drin.«
    Â»Na, umso besser«, sagte Anne und hob, ehe die Haushälterin sie daran hindern konnte, den Goldeimer hoch und stellte ihn auf dem Schrank aus Teakholz ab.
    Â»Sie werden doch jetzt nicht …«, begann Elisabeth Gsell entsetzt, »… Sie werden doch jetzt nicht … nicht im Müll eines Verstorbenen wühlen? Das ist doch nun wirklich privat!«
    Â»Frau Gsell, es geht hier um einen Einbruch, in dessen Folge einer der reichsten Männer Deutschlands gestorben ist. Da gibt es nichts Privates, das nicht interessant wäre für uns.«
    Â»Aber der Müll!«, jammerte Gsell wie über eine frische Wunde.
    Anne achtete nicht auf die Haushälterin, sondern schnappte sich ein großes weißes Handtuch aus dem Regal, auf dem sie den Abfall ausbreitete. Sie fand eine weitere, dieses Mal leere Verpackung des Antidepressivums, außerdem einen Herrennylonstrumpf mit Loch, einige zerknüllte Papiertaschentücher, einen leeren Nasenspray und mehrere zusammengeknüllte Zettel. Der erste war eine Restaurantquittung von Alfons Schuhbecks Südtiroler Stuben am Münchner Platzl. Der zweite war eine Einladung zu dem Vortrag »Clever und diskret anlegen in der Finanzkrise« einer bekannten Münchner Privatbank, vermutlich Kürschners Konkurrenz. Beim dritten handelte es sich um eine Seite aus dem Programmheft zu einem Konzert in der Münchner Philharmonie. Den vierten Zettel, den Anne fand, hätte sie beinahe übersehen, so klein war er. Als sie das Papierknäuel, das nicht größer als eine Murmel war, auseinanderfaltete, erkannte sie, dass es sich um den Teil eines größeren Blatts

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