Tegernseer Seilschaften
Sonntagsausflüglern auf der Salzburger Autobahn in Richtung Oberland geflitzt. Anne hatte die Musik laut gestellt, und beide hatten mitgesungen. Als sie die Tür zu ihrem Häuschen in der SchwaighofstraÃe öffnete, hatte sie für eine Sekunde gehofft, dass Bernhard in der Küche stünde. Doch diese unsinnige Hoffnung verdrängte sie sofort erfolgreich, indem sie sich vorstellte, wie es wäre, hier und jetzt und ohne jede Vorwarnung auf Hans Schimmler zu treffen. Diese Vorstellung erheiterte sie so sehr, dass sie sogar kurz laut lachen musste. Als Lisa fragte, was sei, sagte Anne nur: »Ach nichts, ich musste an etwas Lustiges denken.« Und dann gingen die beiden an den See.
Doch als Lisa am Abend im Bett lag und Anne allein im Wohnzimmer saÃ, überrollte sie wieder die ganze Verzweiflung über Bernhards Verschwinden. Nicht einmal die Abendsonne, die über den See und durch die groÃen Fensterscheiben des Wohnzimmers glitt, konnte Anne genieÃen. Sie versuchte, sich mit Fernsehen auf andere Gedanken zu bringen â keine Chance. Um zehn legte sie sich ins Bett und heulte sich in den Schlaf.
In der Nacht träumte sie vom schlimmsten Tag ihres Lebens, damals, als dieser junge Lehrer mit ihr zu weit gegangen war. Mit Schmerzen im Unterleib wachte sie morgens auf und wäre am liebsten liegen geblieben. Dann kam aber Lisa in ihr Zimmer gehopst und wollte ein Sommerkleid anziehen, mit Rüschen unten dran, und ein Marmeladenbrot frühstücken und einen Kaba trinken und ein Buch vorgelesen bekommen â und so begann der Tag.
Auf dem Weg vom Kindergarten in die Polizeiinspektion hatte der Kummer Anne noch einmal richtig durchgeschüttelt, aber dann hatte sie sich vorgenommen, sich zusammenzureiÃen. Im Dienstzimmer saà Sepp Kastner und, das sah Anne gleich, dachte nach. Was er denn so angestrengt denke, fragte sie ihn deshalb.
»Ich frage mich, wieso der Bauer Nagel und seine Kollegen beim Kürschner eingebrochen sein sollten. Was haben die da gesucht? Und warum haben sie die viele Milch vergeudet? Die hättenâs doch besser bei einer dieser Milchdemos, die zurzeit überall sind, auf einen öffentlichen Platz gekippt als wie bei einem Milliardär ins Schwimmbad. Das ist doch komisch.«
»Vielleicht hatte der Kürschner auch irgendwas mit Milch zu tun. Irgendwelche Milchgeschäfte â¦Â«, antwortete Anne und schnäuzte sich. Jetzt erst sah Kastner Annes Augen und fragte besorgt: »Was ist mit dir? Hast du Heuschnupfen?«
»Nein! Es ist nichts.« Anne wollte alles, nur nicht mit Kastner über den verschollenen Bernhard sprechen. Das Glück kam ihr zur Hilfe. Ein Kollege klopfte und trat ein, in seiner Hand ein Fax.
»Für euch«, sagte er und reichte Anne das Blatt, worüber Kastner sich kurz ärgerte, was er mit einem Schnaufen zum Ausdruck brachte, schlieÃlich war er hier schon viel länger am Start als sie. Da sollte es eigentlich klar sein, dass ihm wichtige Dokumente übergeben werden mussten!
Derweil überflog Anne das Blatt und jubelte: »Bingo, jetzt machen wir den Sack zu.« Ein fragender Blick Kastners, und Anne erklärte: »Die Vergleichsproben stimmen überein. Die Milch kommt vom Nagelhof.«
»War irgendwie ja auch klar«, sagte Kastner cool, er wollte den Kollegen vom Bereitschaftsdienst, der noch im Zimmer stand und gar nichts kapierte, beeindrucken. »Dann werden wir jetzt dem Herrn Nagel mal aufs Zahnfleisch fühlen.«
»Jawoll, Mister Bond«, sagte Anne und stand auf. »Das müssen wir gleich dem Chef zeigen.«
Nonnenmacher hatte noch Reispampe im Mund, als Anne und Kastner sein Zimmer betraten. Weil sie sah, dass er kaute, reichte ihm Anne nur schweigend das Blatt. Schnell schluckte er, las und schwieg. Dann blickte er auf. »Die Milch stammt also vom Nagel Pius.«
»Dann wissen wir jetzt, wer da eingebrochen ist«, meinte Anne triumphierend. Auch Kastners Augen strahlten.
»Das wissen wir nicht genau«, warf Nonnenmacher leise ein. »Oder steht hier auf dem Gutachten, dass der Pius in das Schwimmbad eingebrochen ist?« Zornig blickte er auf. »Nein, es steht hier nur, dass Probe A , die aus dem Schwimmbad stammt, mit Probe B , die vom Hof vom Pius stammt, dass also diese beiden Proben übereinstimmen. Not more.«
Anne und Kastner schauten sich an, als hätte ihnen ihr Chef eben eröffnet, sich ein Bauchnabelpiercing
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