Tempel der Unsterblichen
sie zu berühren, aber selbst das verhinderten die Lederstriemen.
»Es wäre besser gewesen, deine Bewußtlosigkeit hätte noch etwas angehalten«, sagte die Stimme. »Dann wären deine Schmerzen soweit abgeklungen gewesen, daß es dir leichter gefallen wäre, uns unsere guten Absichten zu glauben. Aber du bist sehr stark - und das wiederum kann uns nur zugute kommen .«
Tikal mußte an Viejo denken und schluckte. Hätte er nur einen Bruchteil der Stärke besessen, die ihm Calot offenbar zubilligte, dann wäre seine Schwester nie dem Gedanken verfallen, sich selbst opfern zu müssen, um dem täglichen Elend zu entfliehen. Dann hätte er sie moralisch aufrichten können - und sich selbst auch.
»Ihr habt keine Ahnung«, stieß er hervor. »Nicht die geringste .«
In diesem Augenblick entstand Bewegung in der Finsternis. Eine oder mehrere andere Personen näherten sich Calot. Tikals Gehör fing ein Flüstern auf, dem die Anspannung anzumerken war. Als es verstummte, sagte Calot: »Es fängt an. Sie durchkämmen die Stadt. Wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein. Diese Bestien wittern sogar deine Angst! Kein Wort mehr, bis es vorüber ist!«
Tikal begehrte auf: »Aber -«
»Kein Wort mehr!«
Unsichtbare Hände stopften ihm eine Knebel in den Mund. Er würgte und bäumte sich in seinen Fesseln auf, zumal ihm auch noch ein Tuch durch den Mund gezogen und verknotet wurde. Nur durch die Nase bekam er noch Luft.
Auf den häßlichen Schmerz, der zuvor jede Bewegung begleitet hatte, wartete Tikal diesmal vergeblich. Es tat immer noch weh, aber die Pein war nicht mehr halb so fürchterlich wie anfangs.
Bewahrheitete sich, was Calot indirekt erklärt hatte: Flauten die Beschwerden ab?
War er tatsächlich . unter Freunden?
Aber wie hatten sie ihn gefunden - und wo war er?
*
Der Palast spie sie aus wie das pure Verderben: Bestien an Bestien geleint!
Zapata führte sie an, dicht gefolgt von Pomona und seinen anderen Geschwistern. Mühelos hielten sie Schritt mit den geschmeidigen Killern, denen die Witterung, auf die sie angesetzt waren, längst in Fleisch und Blut übergegangen war.
»Such!« bellte Zapata dennoch stakkatoartig. »Such! Such! Such!«
Jeder Vampir stachelte den ihm vorauseilenden Jaguar mit seiner Stimme an. Starke Stricke verbanden die Handgelenke der Tyrannen mit den Halsringen der ihnen triebverwandten Tiere. Es erhöhte den Reiz, denn dadurch bewegte sich die Jagd in jedem Moment am oberen Limit.
Der Rausch verlieh den Vampiren Flügel, ohne die tatsächlichen Flügel bemühen zu müssen.
Vampir und Jaguar - eine intensivere Partnerschaft war kaum denkbar. Und es hatte den Anschein, als würden die Raubkatzen diese Überzeugung ebenso teilen und genießen wie ihre Herren .
Am Fuß der hoch aufragenden Palastmauern trennten sich die acht Paare und versprengten sich in alle Richtungen, um nach dem von Zapata beschriebenen Frevler zu suchen. Niemand war in der Lage, die Wälle zu überwinden - die Tyrannen wußten dies und hatten ihr Wissen bereitwillig an die Menschen weitergegeben, die unter ihrem Joch litten. Aber es gab immer wieder Unverbesserliche, die sich einbildeten, die magisch gezogene Grenze doch überschreiten und der Gefangenschaft entfliehen zu können. Meist gelang es, sie noch vor Erreichen der Barriere zu stellen, doch mitunter schafften sie es, den Erdwall zu ersteigen und zur eigentlichen Mauer ihres Kerkers zu gelangen. Die Frevler kamen bei der Berührung des Feldes nicht etwa um, sondern wurden von dessen magischer Entladung an einen beliebigen Punkt innerhalb Mayabs geschleudert!
Der Ort, wo sie landeten, ließ sich auch für die Tyrannen nicht voraussehen, doch hatten sie sich eine andere Eigenart dieses Vorgangs zunutze gemacht: Die magische Entladung brandmarkte die Betroffenen, und auf die Erkennung dieser »Witterung« waren die Jaguare der Vampire abgerichtet worden.
Selbst über die innerhalb der Barriere größtmögliche Entfernung vermochten die Tiere sie aufzunehmen - - und zumindest jenes, dessen Leine Zapata führte, fand auch jetzt die Spur.
Die Raubkatze zerrte wie toll am Strick und drängte vorwärts. Ihre Muskeln wurden unter dem gefleckten Fell zu schwellenden Strängen. Trotz seiner übermenschlichen Kraft hatte der Vampir Mühe, den Jaguar im Zaum zu halten.
Das äußerlich so ungleiche und in gewisser Weise doch artverwandte Paar raste fast wie im Fluge dahin. Einem Beobachter mußte es vorkommen, als fänden sie ihren Weg blind.
Aber es gab
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