Tempel der Unsterblichen
eigentümliche Betonung. Landru ließ wahrlich keine Gelegenheit ungenutzt, um Lilith auf seine Sicht der Dinge einzu-schwören. Und seine Methode verfing, langsam, Stück um Stück .
Lilith nickte. »Vielleicht hast du recht.«
»Gewiß doch.«
»Wir sollten aufbrechen«, meinte sie dann, »bevor es vollends dunkel wird.«
Landru blinzelte ihr verschwörerisch zu. »Du vergißt: Unsere Augen kennen so etwas wie völlige Dunkelheit nicht.«
Lilith wies zu Pepe hin, der gerade spärliche Flüssigkeit aus einem Blatt sog, daß er von einem Busch gerissen hatte. »Aber seine.«
Landru zuckte gleichgültig die Schultern. »Ein Problem, das sich leicht lösen läßt. Ich hatte es ohnehin vor. Ob ich es jetzt tue oder später, das macht keinen Unterschied.«
Er ging auf den jungen Indio zu. Lilith beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten.
»Was hast du vor?« fragte sie mißtrauisch und vage erschrocken in einem. Eine dunkle Ahnung stieg in ihr auf. Eine unsichtbare Schlinge legte sich um ihren Hals und nahm ihr mehr und mehr den Atem. Fließendes Frösteln unter ihrer Haut verdichtete sich zu einer eisigen Kruste.
Landru warf ihr einen Blick zu, der von abseitigem Amüsement und kaum verhohlener Begierde kündete.
»Bei jeder Rast«, sagte er, »sollte man - einen Bissen zu sich nehmen.« Sein flüchtiges Lächeln zauberte elfenbeinernen Schimmer ins Dämmer.
»Nein, bitte ...« Liliths Hand stieß vor - und griff ins Leere. Als hätte Landru mit einem einzigen Schritt die Distanz von zweien überwunden, so rasch hatte er sich von ihr entfernt - und dann auch schon den Indiojungen erreicht.
In geradezu freundschaftlicher Geste legte er Pepe den Arm um die Schulter und zog ihn an sich. Wer nicht wußte, welch ein Monstrum sich hinter Landrus Maske verbarg, hätte keinen Argwohn gehegt bei diesem Anblick, der fast an den eines Vaters und seines Sohnes gemahnte.
Lilith jedoch fand ihn entsetzlich und niederschmetternd.
Und doch schwieg sie. Tat nichts. Weil Landru seinerseits doch nur tat, was die Art der vampirischen Rasse ihm diktierte - und was demzufolge auch ganz in ihrem eigenen Sinn sein mußte.
Landru legte die Finger seiner Linken unter Pepes Kinn und dirigierte das Gesicht des Jungen so, daß ihre Blicke einander trafen. In völliger Stille, ohne jedes Wort ging dies vonstatten, und ebenso lautlos erlosch der kaum erwachte Glanz in den Augen des jungen Indios, wie abgeschaltet.
Sekundenlang verharrten die beiden starr wie versteinert, dann wandte Landru noch einmal den Blick in Liliths Richtung. Das stumme Flehen in ihrem Blick schien ihn zu belustigen. Ein beinahe schon vergnügtes Lächeln spielte einen Moment lang um seine Lippen.
Doch schon im nächsten war es verschwunden! Als Landru seine Kiefer auseinander riß wie ein Raubtier im Beutesprung.
Kleinen, aus Knochen kunstvoll gearbeiteten Dolchen gleich ragten ihm die Eckzähne unter der Oberlippe hervor. Seine rechte Hand grub sich in den dunklen Schopf des Jungen und zerrte ihm den Kopf in den Nacken.
Pepes Mund öffnete sich, aber kein Laut kam über seine bebenden Lippen. Nur - stumme Schreie.
Der Dschungel selbst und alles, was in ihm lebte, schien den Atem anzuhalten. Die Geräuschkulisse, vorhin noch so vielfältig und fast schon lärmend, war erstorben. Lilith wußte nicht, seit wann; ihre Aufmerksamkeit galt ganz und gar dem unwürdigen Schauspiel, das Landru ihr bot und in dem Pepe nicht einmal Statist, sondern bloß Requisite war.
Ihre Lippen bewegten sich so stumm wie die des Jungen. Doch Landru hatte längst keinen Blick mehr für Lilith. Der Anblick und der Duft seines Opfers schienen ihn regelrecht gefangengenommen zu haben. Er zelebrierte ein ganz eigenes Ritual, und nichts und niemand würde ihn darin stören können.
In der atemlosen Stille glaubte Lilith zu hören, wie Landrus Zähne die Haut des Indios durchstießen und in den Fluß des Herzens darunter eintauchten.
Das Geräusch danach indes entsprang nicht nur ihrer Einbildung.
Das gierige Schlürfen, das heftige Schlucken - beides war wirklich. Und grauenhaft.
Liliths Perspektive veränderte sich, als sie langsam in die Knie sank, weil ihre Beine zu zittern begannen und ihr Gewicht nicht länger tragen wollten. Sie wünschte sich, es wäre nur ein Zeichen von Schwäche gewesen, die das Entsetzen des Szenarios ihr aufzwang.
Doch sie wußte, daß es noch einen anderen Grund dafür gab - - Verlangen.
Unausgesprochenes und lange verleugnetes Sehnen, es Landru
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