Tempel der Unsterblichen
Schwärze, die sie unter sich begraben hatten. Sie erwachte übergangslos. Von einer Sekunde zur nächsten war sie wieder bei Sinnen, schockartig fast - und sie fühlte sich in einem solchen Maße elend, daß sie davon überzeugt war, sich nie zuvor schlimmer gefühlt zu haben.
Ihr war übel. Speiübel im beinahe wörtlichen Sinne. Doch Lilith erbrach sich nicht. Zum ersten Mal seit langem behielt ihr Körper bei sich, was sie ihm gegeben hatte. Aber gerade diese Tatsache steigerte den Brechreiz noch.
Sie hatte Blut getrunken, Pepes Blut! Lilith konnte spüren, wie es ihre Eingeweide mit seiner Wärme erfüllte, und obgleich es im Grunde ein durchaus angenehmes Gefühl war, verabscheute sie es. Und sich selbst. Für das, was sie getan hatte.
Wie aus Zufall - und doch konnte es unmöglich Zufall sein - fiel ihr Blick just in diesem Moment auf den reglosen Körper, der neben ihr im Farnkraut lag, im Dämmerlicht kaum mehr als ein Schemen - - in den jetzt Bewegung kam!
Der junge Indio, den Lilith eben noch für tot gehalten hatte, rührte sich. Laute wie nach langem, tiefem Schlaf kamen ihm über die Lippen, und dann machte er Anstalten, sich zu erheben, so mühsam, als müßte er die Kontrolle seiner Glieder erst noch erlangen.
Eine andere Gestalt löste sich aus den Schatten, ohne Hast und doch blitzschnell. Landru beugte sich zu Pepe hinab, seine Hände faßten nach dem schmalen Gesicht des Indios - und die folgende Bewegung wirkte routiniert, wie schon unzählige Male ausgeführt.
Lilith schloß entsetzt die Augen. Ihre Ohren jedoch konnte sie nicht verschließen. Ein mürbes Knacken und Knirschen, dann ein dumpfer Laut. Als sie schließlich die Lider wieder öffnete, lag Pepe von neuem am Boden, wieder tot, das Gesicht auf unmögliche Weise von Lilith abgewandt.
»Was hast du getan?« entfuhr es ihr angewidert. Sie sah zu Landru auf. Sein Lächeln schimmerte im grauen Licht.
»Er wäre uns nur ein Klotz am Bein gewesen«, sagte er leichthin, und dann, bedeutungsvoller: »Wo ich dich hinführe, erwarten uns Diener von ganz anderer Qualität.« Verächtlich stieß er mit dem Fuß gegen den Leichnam und verhalf ihm zu einer allerletzten Bewegung. Der Tote rollte herum, der starre Blick seiner weit aufgerissenen Augen traf Lilith und fuhr ihr tief unter die Haut und bis ins Mark hinein.
Es kam ihr vor, als erstünde sie selbst geradewegs vom Tode, so schwer fiel es ihr, aufzustehen. Landru reichte ihr hilfreich die Hand, doch Lilith ignorierte sie.
»Fühlst du dich gekräftigt?« fragte er lauernd.
Lilith hätte gerne verneint, aber sie nickte fast automatisch, denn in der Tat fühlte sie sich - ja, wie eigentlich? Sicher, immer noch schlecht und niederträchtig, weil sie den Jungen . - aber das war nur die eine Seite; andererseits nämlich fühlte sie sich wirklich gestärkt und auf unliebsame Art und Weise wohl, wie ein Mensch, der ein üppiges Mahl zu sich genommen hatte.
»Du siehst, ich hatte recht«, sagte Landru. Sein Lächeln allein bestärkte Liliths Ekel vor sich selbst. Aber sie nickte wieder, wenn auch zögernd wie gegen ihren Willen. Alles, was Landru ihr erzählt hatte, schien der Wahrheit zu entsprechen, und alles Sträuben half nichts: Er wußte, wer sie war, und sie konnte nichts anderes tun, als sich in das Offensichtliche zu fügen.
»Laß uns gehen«, bat sie nur und schritt schon voran, weiter in jene Richtung, in die Landru sie zuvor bereits geführt hatte. Lilith ertrug den Anblick des toten Indios nicht länger, weil sie sich die bange Frage nicht länger stellen mochte, ob nicht sie letztlich an diesem Tod die Schuld trug.
Landrus Lächeln sah sie nicht; wohl aber spürte sie es, als eisigen Hauch, der ihren Rücken streifte. Ohne ihr Zutun veränderte sich ihr Mimikrykleid und überzog die nackte Haut unterhalb ihres Nackens mit fließender Schwärze, die dort wieder erstarrte und zu ganz eigenartigem Stoff wurde.
»Laß mich vorangehen«, verlangte Landru.
Sie ließ ihn passieren und ein paar Schritte weit laufen. Erst dann ging Lilith selbst weiter. Landrus Nähe, mochten sie einander auch noch so ähnlich sein, war ihr unheimlich.
Immer weiter führte er sie durch den Dschungel, dessen Grün mittlerweile vollends verblichen war. Liliths besonderer Blick - wie auch der Landrus - nutzte das wenige Licht, das noch durch das dichte Blätterdach herabkam, und überzog alles ringsum mit rötlichem Schimmer, als leuchte ein blutfarbener Mond ihnen den Weg.
Schweigend gingen sie
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