Temptation: Weil du mich verführst
an der Kellnerstation ab und rief Sheldon, der an diesem Abend an der Bar Dienst hatte, ihre Bestellung zu. Sheldon war ein Typ mittleren Alters, der häufig miesepetrig, gelegentlich aber auch ein echter Goldschatz sein konnte.
»Du musst Andy sagen, dass er keinen mehr reinlassen soll«, rief sie über die hämmernden Bässe und das ohrenbetäubende Stimmengewirr hinweg. »Wir sind voll bis unters Dach.«
Sie nippte an ihrem Mineralwasser, als Sheldon sie zu sich herüberwinkte. »Du musst kurz rüber zum Laden an die Ecke und so viel Zitronensaft kaufen, wie du kriegen kannst«, schrie er. »Mardock, dieser Idiot, hat vergessen, ihn auf die Liste zu schreiben, und hier kommt eine Sidecar-Bestellung nach der anderen herein.«
Sie seufzte. Ihre Füße brachten sie jetzt schon um, und die Vorstellung, die fünf Blocks bis zum Laden zu gehen, der die ganze Nacht geöffnet hatte, war alles andere als verlockend. Andererseits wäre es vielleicht ganz angenehm, ihrer Lunge etwas frische Herbstluft und ihren Trommelfellen eine kleine Pause zu gönnen.
Sie nickte und nahm ihre Schürze ab. »Sag Cara, sie soll meinen Bereich übernehmen, okay?«, rief sie.
Sheldon nickte und nahm einen Zwanziger aus der Kasse.
Im Regal im Laden an der Ecke standen mickrige vier Flaschen Zitronensaft. Der schlaftrunkene Kassierer schlurfte auf ihre Bitte hin langsam in den Lagerraum, wo er noch eine weitere Flasche aufstöberte. Auf dem Rückweg zum High Jinks bemerkte sie, dass sich jede Menge Leute auf dem Bürgersteig befanden, die sich offenbar auf den Weg zu ihren Autos oder der Haltestelle des Nachtbusses machten. Wo kommen die denn alle her?, fragte sie sich, als sie in die Straße bog, in der sich das High Jinks befand, und blieb stehen, als sie ein Dutzend weiterer Gäste aus der Bar treten und die schwere Holztür hinter sich zuschlagen sah.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie ein vorbeikommendes Trio.
»Im Lagerraum gab’s ein Feuer«, antwortete einer der Männer, dessen säuerlicher Tonfall keinen Zweifel daran ließ, dass er alles andere als begeistert über das abrupte Ende seiner samstäglichen Kneipentour war.
»Was?«, rief Francesca, doch die Männer schoben sich ohne weitere Erklärung an ihr vorbei und setzten ihren Weg fort. Besorgt lief sie zum Eingang, doch es roch weder nach Rauch, noch waren Feuerwehrsirenen zu hören. Auch von Andy, dem Türsteher, war weit und breit nichts zu sehen, als sie die Tür öffnete und eintrat.
Es war überhaupt niemand da.
Sie blieb im Eingangsbereich stehen und sah sich entsetzt um. Die Bar, die vor zwanzig Minuten noch gerammelt voll gewesen war, lag nun verwaist und verlassen vor ihr. War sie in ein Zeitloch gefallen?
In diesem Moment registrierte sie eine Bewegung hinter der Bar. Zu ihrer Verblüffung stand Sheldon hinter dem Tresen und polierte scheinbar in aller Seelenruhe Gläser.
»Was zum Teufel ist hier los, Sheldon?«, fragte sie und trat näher. Er würde wohl kaum so gelassen hier stehen, wenn in seinem Lagerraum ein Brand tobte, oder?
Ihr Boss hob den Kopf und stellte ein Bierglas beiseite. »Ich habe nur gewartet, um sicherzugehen, dass du wohlbehalten zurückkommst«, sagte er und trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Ich bin dann in meinem Büro, damit ihr ungestört seid.«
»Aber …«
Sheldon wies hinter ihre Schulter. Francesca fuhr herum und erstarrte, als sie Ian an einem der Tische sitzen sah, die langen Beine lässig ausgestreckt. Eine hohe Trennwand hatte beim Hereinkommen den Blick auf ihn versperrt. Ihr Herz machte einen Satz, wie immer, wenn sie ihn sah. Trotz ihres Schocks entging ihr nicht, dass er Jeans trug und ein dunkler Bartschatten Kinn und Wangen bedeckte. Er sah ganz anders aus als der Ian Noble, den sie kannte, ungepflegter, gefährlicher … und verdammt sexy. War er wieder einmal durch die nächtlichen Straßen gewandert?
Sein Blick schien sie zu durchbohren.
»Er will allein mit dir reden«, hörte sie Sheldon hinter sich sagen. »Und wie es aussieht, ist es ihm ziemlich wichtig. Tut mir leid, wenn du nicht mit ihm sprechen willst, aber zu einem Mann wie ihm sagt man nicht so einfach Nein.«
»Vor allem zu seinem Geld nicht«, schoss Francesca ironisch zurück und spürte eine Mischung aus Beklommenheit und Wut in sich aufsteigen. Was hatte er hier zu suchen? Wieso konnte er sie nicht in Ruhe lassen, damit sie ihn endlich vergessen konnte? Hatte er sie allen Ernstes hier aufgestöbert, weil er mit ihr
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