Tempus (German Edition)
behandelt werden«, bemühte ich mich auf Lateinisch zu sagen und suchte aus Eriks Tasche eine Kompresse hervor.
»Was hat sie gesagt? Sie hat einen komischen Akzent«, fragte Marcius’ Vater gereizt.
Ich ignorierte ihn und ging mit der Kompresse auf Marcius zu, der mittlerweile auf einer dunkelblau gepolsterten Holzbank saß, die sich in der Mitte des Raumes befand. Augenblicklich griffen mehrere Hände nach mir und hielten mich zurück.
»Er könnte verbluten«, wandte ich mich beschwörend an Marcius’ Vater. »Ich will ihm nichts tun. Wirklich. Ich will nur die Blutung stoppen.«
»Ich kann nur jedes dritte Wort verstehen. Was will sie stoppen?«, Marcius Vater sah die anderen Hilfe suchend an.
»Sie will meine Wunde versorgen. Lassen wir sie es tun«, entgegnete Marcius ruhig und hielt mir sein Bein hin. Niemand widersprach ihm.
Ich nahm die Kompresse und drückte sie auf seine Wunde, um die Blutung zu stillen, so wie ich es bei Erik und Hedda schon unzählige Male gesehen hatte. Marcius zog geräuschvoll die Luft ein. Mir war klar, dass ich ihm Schmerzen zufügte. Doch ich wusste keine andere Lösung.
»Wir brauchen einen Arzt«, sagte ich zu den umherstehenden Männern. »Die Wunde muss unbedingt genäht werden.«
»Sie hat recht!« Marcius’ Vater hatte mich ausnahmsweise auf Anhieb verstanden. »Kleon, lauf und hole Aulus, den Medicus. Er möge sich beeilen!«
»Bleib, Kleon«, befahl Marcius mit zusammengepressten Zähnen. »Das ist zu gefährlich. Morgen weiß unter Umständen die ganze Stadt, was geschehen ist.«
»Keine Sorge, Aulus steht auf unserer Seite!« Sein Vater machte eine beschwichtigende Geste.
»In diesen Zeiten weiß man nie, wann wer die Seite wechselt!« Marcius’ Stimme klang wie der Wind in den Gräsern. Leise und ein bisschen rau. Sie passte zu seinen Steppenaugen.
»Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«, fragte sein Vater.
Marcius blickte mich an. »Das Mädchen wird die Wunde nähen. Es scheint etwas davon zu verstehen.«
»Das kann ich nicht. Ich bin keine Ärztin!« Vor Schreck zog ich die Hand weg, mit der ich auf seine Wunde gedrückt hatte. Sofort floss das Blut wieder in Strömen.
»Du wirst es tun«, forderte er.
»Das geht nicht. Ich habe das noch nie gemacht. Ich weiß gar nicht, wie ich das Bein betäuben soll!«
»Was weißt du nicht?«
»Wie ich es betäuben soll.« Ich tippte vorsichtig auf sein Bein und fügte hinzu: »Damit es nicht so wehtut.«
Alle im Raum lachten. Selbst Marcius.
»Wein sollte reichen«, meinte ein kräftiger junger Mann mit grobem Gesicht und haute kameradschaftlich auf die Schulter von Marcius, der unmerklich zusammenzuckte.
»Ich kann das nicht. Wirklich nicht. Ich habe das noch nie gemacht.« Meine Verzweiflung nahm immer weiter zu, sofern das überhaupt noch möglich war.
»Fang an!«
»Ich kann nicht!«
»Ich befehle es dir!« Marcius klang unerbittlich. Manchmal streichelte der Wind die Gräser, mal bog er sie, aber er konnte sie auch brechen.
Ärztin wider Willen
Ich war in einer Situation, die nicht schrecklicher hätte sein können. Was sollte ich bloß tun? Es war ein Albtraum. Die Wunde zu nähen, wäre unverantwortlich. Andererseits traute ich mich nicht länger, mich zu widersetzen, zumal Marcius’ Bein unbedingt versorgt werden musste. Was hatte ich also für eine Wahl?
»Na gut«, gab ich zögerlich nach. »Dann musst du jetzt selbst einen Augenblick auf die Wunde drücken. Schau, so!« Ich griff nach seinem Handgelenk, legte seine Hand statt meiner auf die Kompresse und fing an, mit zitternden Fingern Eriks Tasche zu durchwühlen. Neben Nadel, Faden und Verbandszeug fand ich ein Fläschen mit der Aufschrift Jod . In der Zwischenzeit leerte Marcius hastig mit seiner freien Hand mehrere Krüge Wein, die ihm eine junge Frau in einer grauen Tunika gebracht hatte.
»Könnte mir jemand eine Schüssel mit warmem Wasser besorgen?«, fragte ich. Kleon nickte der jungen Frau zu, die sich noch im Raum befand und daraufhin geräuschlos verschwand. Wenig später kehrte sie mit dem Wasser zurück.
»Danke! Stell es bitte zu den anderen Sachen.« Ich zeigte auf den Holztisch gleich neben der Bank, auf der Marcius saß. Auf den Tisch hatte ich bereits den Inhalt aus Eriks Tasche in Reih und Glied hingelegt.
»Ich habe noch nie solches Instrumentarium gesehen«, murmelte einer von Marcius’ Gefährten halblaut. »Seht nur, welch seltsames Gefäß! Auch ihre Tasche sieht anders aus als die, die wir
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