Tempus (German Edition)
Vorhang aus Wasser hinterher. Nicht nur der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet.
Ohne Worte
Sturzbäche ergossen sich über den Palatin. Unermüdlich trommelte der Regen auf die Bank, auf der Filippa und ich so viele Stunden zugebracht hatten. Die Tropfen hüpften und tanzten auf der marmornen Sitzfläche. Ich stand am Fenster und schaute hinaus. Die Welt versank in Schlamm und Trostlosigkeit. Ein Rabe flatterte herbei und setzte sich genau vor mir auf einen Mauervorsprung. Ich klatschte mehrmals laut in die Hände, was ihn nicht störte. Unbeeindruckt schüttelte er sein nasses, glitzerndes Gefieder. Wasser spritzte mir entgegen. Ich trat automatisch einen Schritt zurück, klatschte erneut in die Hände und machte »Schsch, schsch«, um ihn zu verscheuchen. Ich wollte ihn nicht hier haben; er erinnerte mich an Cornelias Totenfeier. Der große schwarze Vogel blickte mich nur mit harten Augen an und krächzte höhnisch. Er freute sich über seine Macht und mein Unglück.
Die Ilias
Ihm antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:
Sei getrost, und erkläre den Götterwink, den du wahrnahmst.
Denn bei Apollon fürwahr, Zeus Lieblinge, welchem, o Kalchas,
Flehend zuvor, den Achaiern der Götter Rat du enthüllest:
Keiner, so lang’ ich leb’, und das Licht auf Erden noch schaue,
Soll bei den räumigen Schiffen mit frevelnder Hand dich berühren,
Aller Achaier umher! und nenntest du selbst Agamemnon,
Der nun mächtig zu sein vor allem Volke sich rühmet!
Jetzo begann er getrost, und sprach, der untadliche Seher:
Nicht versäumte Gelübd’ erzürnten ihn, noch Hekatomben;
Sondern er zürnt um den Priester, den also entehrt’ Agamemnon,
Nicht die Tochter befreit’, und nicht annahm die Erlösung:
Darum gab uns Jammer der Treffende, wird es auch geben.
Nicht wird jener die schreckliche Hand abziehn vom Verderben,
Bis man zurück dem Vater das freudigblickende Mägdlein
Hingibt, frei, ohn’ Entgelt, und mit heiliger Festhekatombe
Heim gern Chrysa entführt. Das möcht’ ihn vielleicht uns versöhnen.
Fein säuberlich schrieb ich Buchstabe für Buchstabe die Ilias von Homer ab, die aus insgesamt vierundzwanzig sogenannten Gesängen bestand. Ich hatte schon hundert Zeilen zu Papier gebracht, und noch immer erinnerte mich nichts an den Film Troja mit Brad Pitt. In den Versen wurde nur Achilles erwähnt, der hier Achilleus hieß. Kein Wort hingegen von Helena, Paris oder seinem Bruder Hektor, der wegen Paris sterben musste. Oder ich hatte die drei überlesen, was kein Wunder wäre, da ich vieles von dem, was ich da kopierte, nicht verstand. Immerhin lenkte mich die Arbeit in der Bibliothek ab, und der Zorn und der Schmerz, um die es offenbar in der Ilias ging, passten gut zu meiner Stimmung. Ich tunkte die Feder mit Nachdruck in das Gefäß mit der dunklen Farbe und schrieb weiter.
Also redete jener, und setzte sich. Wieder erhub sich
Atreus Heldensohn, der Völkerfürst Agamemnon,
Zürnend vor Schmerz; es schwoll ihm das finstere Herz voll der Galle,
Schwarz umströmt; und den Augen entfunkelte strahlendes Feuer.
Punkt.Ich lehnte mich zurück und betrachtete mein Werk kritisch. Dabei tropfte Farbe von der Feder auf den Papyrusbogen. Mist! Schon wieder! Gleich rechts neben der vorletzten Zeile prangte ein dicker Fleck. Die Abschrift war ruiniert. Ich kam einfach nicht voran. Zweimal hatte ich bereits von vorn anfangen müssen, weil ich mit der Tinte gekleckert hatte. Es war wie verhext. Erst vergraulte ich Marcius, und dann war ich noch nicht einmal in der Lage, einen Text ordentlich abzuschreiben. Am liebsten hätte ich die Feder samt Farbe in die Ecke gefeuert. Warum hatte ich mich gestern bloß von Marcius dazu überreden lassen, die Wahrheit zu erzählen? Das hatte ich nun davon!
Gleich nach unserem Streit waren er, Verus und ein paar junge Männer fortgeritten. Ob und wann Marcius wiederkommen würde, wollte oder konnte mir niemand sagen. Lediglich Filippa machte Andeutungen, dass Marcius mal wieder im Auftrag seines Vaters unterwegs war und wichtige Gespräche führte. Hoffentlich stimmte das. Wenn ich mich recht erinnerte, stand der Bürgerkrieg kurz bevor.
Wie lange war das jetzt her, dass ich mich zu Hause in Schweden mit dem Bürgerkrieg beschäftigt hatte? Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, was es genau genommen auch war.
Mein Magen krampfte sich zusammen. Was, wenn der Krieg schon in vollem Gang war und Marcius sich, wie ich vermutete, auf die Seite von Cäsars Gegnern
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