Tempus (German Edition)
Mund und nahm einen Schluck Wasser.
»So ist’s gut«, lobte er mich wie ein kleines Kind.
Ich schüttelte innerlich den Kopf. Marcius’ Verhalten war und blieb für mich rätselhaft. Doch jetzt, genau in diesem Augenblick, störte es mich ausnahmsweise nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass er mir die ganze Zeit beim Essen zusah.
»So, jetzt kann ich wirklich nicht mehr.« Ich blies meine Wangen auf und tat so, als würde ich gleich platzen. Außer ein paar Brotkrümeln hatte ich nichts übrig gelassen.
Marcius schmunzelte und rief den Wirt. Nachdem er bei ihm bezahlt hatte, schob er mich durch die Tür ins Freie. Weder er noch ich wollten länger als unbedingt nötig in dem schmuddeligen Wirtshaus bleiben.
Der Junge stand mit Amandus und dem Grauschimmel noch genau an der Stelle, wo wir ihn zurückgelassen hatten. Marcius gab ihm die versprochene Münze und hob mich aufs Pferd. Dabei rutschte meine Tunika wieder nach oben. Als wäre es ganz selbstverständlich, zupfte er sie dieses Mal zurecht. Das Blut schoss mir in die Wangen, was er zum Glück nicht bemerkte. Er war zu sehr mit meinen Knien beschäftigt. Leise pfeifend ließ er von mir ab und sprang mit einem Satz auf den Rücken seines Grauschimmels, der erschreckt zusammenzuckte und wieherte. Marcius grinste. Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich an der Reaktion seines Pferdes lag.
Seite an Seite bahnten wir uns im Schritt einen Weg durch das Gedränge, das noch weiter zugenommen hatte.
»Man sollte den Fuhrleuten verbieten, tagsüber durch Rom zu fahren. Das ist ja unerträglich«, knurrte Marcius, während wir auf ein Stadttor zuhielten. Wir ritten unter einem Rundbogen hindurch und überquerten unterhalb der Tiberinsel den Fluss. Die Hufe der Pferde dröhnten auf der Holzbrücke.
»Das ist der Pons Sublicius. Die älteste Brücke von Rom. Vor etwa neunzehn Jahren wurde sie von einem Hochwasser zerstört. Der Senat ließ sie umgehend wieder aufbauen«, erklärte mir Marcius nicht ohne Stolz.
Ich hätte mich jetzt vermutlich beeindruckt zeigen müssen. Doch der Gestank, der vom Tiber zu uns aufstieg, machte mir zu schaffen. Der Fluss war eine einzige stinkende braune Brühe, die träge dahinfloss. So wie es roch, wurde die Kloake von ganz Rom in den Fluss geleitet. Nicht auszudenken, was passierte, wenn Hochwasser herrschte. Wie gut, dass sich Lucius’ Haus auf dem höher gelegenen Palatin befand, schoss es mir durch den Kopf.
»Können wir etwas schneller reiten?«, bat ich Marcius. Ich konnte den Gestank nicht länger aushalten.
»Ja, sobald wir von der Brücke sind.« Prüfend blickte er mich an. »Du bist ja ganz weiß im Gesicht!«
»Mhm«, machte ich und trieb mein Pferd auf dem letzten Stück der Brücke mit den Fersen an, so wie ich es mir bei Marcius abgeguckt hatte. Amandus fiel sofort in einen schnellen Trab, der mich ordentlich durchschüttelte. Es dauerte nur ein paar Sekunden und Marcius hatte mich eingeholt.
»Elina, was tust du? Ich habe gesagt, nicht solange wir auf der Brücke sind.« Er fasste mir in den Zügel und zwang Amandus, im Schritt zu gehen.
»Entschuldige, aber ich musste so schnell wie möglich von dort weg. Der Fluss stinkt widerlich. Mir wurde richtig schlecht.«
»Es wäre besser, wenn du künftig auf mich hören würdest«, sagte er ernst.
Schweigend ritten wir einen Feldweg entlang. Nur das Schnauben der Pferde war zu hören und das schmatzende Geräusch, das sie bei jedem Schritt mit ihren Hufen auf dem durchweichten Boden machten.
»Wollen wir dort hinauf?« Ich zeigte auf einen Hügel direkt vor uns.
»Ja, ich möchte dir etwas zeigen.«
»Was?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er lächelte, und war beruhigt. Es gab offenbar nichts, wovor ich Angst haben musste. Am Fuß des Hügels zügelte Marcius seinen Grauschimmel derart hart, dass er sich leicht aufbäumte. Der plötzlich auffrischende Wind zerrte an Marcius’ dunklem Umhang. Ich hatte mit Erik zusammen in Rom schon einige Reiterstandbilder gesehen. Marcius’ Anblick jedoch übertraf alles. Ich konnte meine Augen kaum von ihm abwenden.
»Wollen wir hinaufgaloppieren?« Er schaute mich erwartungsvoll an.
»Lieber nicht.« Ich fühlte mich auf Amandus’ Rücken noch nicht so sicher, auch wenn die beiden Sattelhörner auf Höhe meiner Oberschenkel für einen gewissen Halt sorgten.
»Na gut, vielleicht ein anderes Mal.« Marcius wirkte ein wenig enttäuscht. Mein Herz aber machte einen Hüpfer. Er hatte
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