Tender Bar
umarmt. Ich hätte Sinatra gern dafür gedankt, dass er mich mit seiner Stimme durch eine dunkle Zeit gezogen hatte. Ich hätte ihn gern ins Publicans eingeladen und war schon kurz davor. Während des abschließenden Frage-und-Antwort-Teils meldete ich mich. Wenn du Bars liebst, Frank, dann kann ich dir eine empfehlen! Doch bevor mich The Voice aufrufen konnte, trat der Dekan vor und sagte, es sei Zeit, unseren verehrten Gast gehen zu lassen.
Sinatra bedankte sich für unsere Aufmerksamkeit, wirkte erleichtert und glitt zur Tür hinaus.
26 | JR MAGUIRE
In den Tagen vor dem Examen musste ich eine letzte Aufgabe erledigen, mir einen letzten Wunsch erfüllen, auch wenn es ein selbst auferlegter war. Ich wollte meinen Namen gesetzlich ändern. Ich musste JR und Junior und Moehringer über Bord werfen, musste jene lästigen Symbole beiseite wischen und sie durch etwas Normales ersetzen, einen Namen, der kein vom deutschen Nachbarn entlehntes Pseudonym vom Vater meines Vaters war. Ich wollte meinen Vater leugnen und meinen Namen zurückweisen, und ich wollte einen Namen, den Sidney nicht würde leugnen oder zurückweisen können, wenn ich sie bei unserer Hochzeit bitten würde, ihn anzunehmen.
Aber es musste schnell gehen. In wenigen Tagen wurden die Diplome für die Universitätsabgänger des Jahres 1986 gedruckt, und ich wollte den Namen, der auf meinem Abschlusszeugnis erscheinen würde, für immer behalten, ganz gleich, welcher es war. Ich hatte zu hart für dieses Diplom gearbeitet und ihm zu viel Bedeutung beigemessen, deshalb durfte es nur meinen gesetzlichen Namen tragen. Ich wollte keine gespaltene Identität. Ich wollte nicht mit zwei verschiedenen Namen durchs Leben gehen, der wiedergeborene Johnny Michaels alias John Moehringer.
Ich verbrachte Stunden in der Sterling Library und erstellte Listen mit möglichen Namen. Ich blätterte Romane durch, Gedichtanthologien, Baseballenzyklopädien, Bände von Who’s Who; ich sammelte poetische Namen, ungewöhnliche Namen, ultramännliche Namen. Ich sah mich für jeweils fünf Minuten als Chip Oakwood, Jake McGunnigle, Clinton Vandemere. Ich übte meine neue Unterschrift als Bennett Silverthorne, Hamilton Gold und William Featherstone. Ich schlief als Morgan Rivers ein und wachte als Brock Manchester auf. Ich dachte ernsthaft darüber nach, Bayard Irgendwas zu werden, doch nachdem ich sein Hemd gestohlen hatte, konnte ich ihm nicht auch noch den Namen klauen. Ich experimentierte mit Namen von Baseballspielern aus dem zwanzigsten Jahrhundert wie Red Conkright und Jocko Fields, und einen Nachmittag lief ich über den Campus und war in Gedanken Grover Lowdermilk. Ich probierte Medleys aus grässlichen britischen Namen aus, die ich in Parlamentsjahrbüchern fand, beispielsweise Hamden Lloyd Cadwallader. Schließlich stellte ich fest, dass jeder Name, der mir gefiel, alle Namen auf meiner kurzen Liste dazu neigten, Spott zu provozieren – genau wie JR Moehringer.
Am Ende verlegte ich mich auf Charles Mallard. Schlicht. Einfach. Charles zu Ehren von Onkel Charlie. Mallard, weil es nach Geld und alter Welt klang. Charles Mallard war ein Mann, der Krawatten mit aufgedruckten Fasanen trug und wusste, wie man ein zwölfkalibriges Gewehr reinigte, ein Mann, der alle gut aussehenden Mädchen im Club flachlegte. Charles Mallard war der, der ich glaubte, sein zu wollen. Also war ich Charles Mallard. Für ein Wochenende. Ein Kumpel rettete mich in letzter Minute vor diesem fantastischen Fehler, indem er mir erklärte, dass der so wohlklingende Name auch als Gattungsbezeichnung für die gemeine Stockente diente und ich damit riskierte, mein Leben lang Chuck Duck genannt zu werden.
Ich beschloss, JR zu bleiben, wollte aber die beiden Initialen zu meinem gesetzlichen Vornamen machen. Dann log ich wenigstens nicht mehr, wenn ich den Leuten erzählte, es stünde für nichts. Als Nachnamen wollte ich den Mädchennamen meiner Mutter annehmen, Maguire. JR Maguire. Sidney schrieb es in ihrer gedrechselten Handschrift vorne auf mein Yale-Notizbuch. Sehr schön, sagte sie. Darunter schrieb sie: »Sidney Maguire«. Wir fanden beide, der Name hatte was.
Die Angestellte im New Haven Superior Court meinte, einen Namen zu ändern sei kinderleicht. »Füllen Sie dieses Formular aus«, sagte sie und schob mir ein Blatt Papier zu, »und Sie können sein, wer Sie wollen.«
»Ich will meinen Vornamen in JR ändern. Nur JR. Geht das?«
»Nur JR? Ohne dass es für was
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