Tender Bar
»Impressionist« gewesen, ein Wort, das für mich neu und schön klang. Er gab mir eine Kostprobe. Er spielte einen Nazi-Kommandanten, einen französischen Koch. Dann einen Mafia-Schurken, dann einen britischen Butler. Mein Vater, der blitzschnell von einer Stimme zur nächsten wechselte, klang wie das Radio, wenn ich den Senderknopf rasch hin und her drehte, ein Trick, der mich nervös machte, auch wenn ich lachen musste.
»Und«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. »Lebst du gern bei deinem Großvater?«
»Ja«, sagte ich. »Das heißt, nein.«
»Bisschen von beidem?«
»Ja.«
»Dein Großvater ist ein guter Kerl. Tanzt nach seiner eigenen Pfeife, aber das gefällt mir an ihm.«
Ich wusste nicht so recht, was ich dazu sagen sollte.
»Was gefällt dir denn nicht am Leben bei deinem Großvater?«
»Es macht meine Mutter traurig.«
»Und was gefällt dir dort?«
»Die kurze Distanz zu meiner Mutter.«
Mein Vater drehte seinen Kopf abrupt zu mir, zog an seiner Zigarette und starrte mich an.
»Deine Mutter sagt, du hörst deinen alten Herrn ziemlich oft im Radio.«
»Ja.«
»Und wie findest du ihn?«
»Du bist lustig.«
»Würdest du später auch gern Diskjockey werden?«
»Ich werde schon Anwalt.«
»Anwalt? Das darf nicht wahr sein, ausgerechnet. Warum denn?«
Ich gab keine Antwort. Er blies eine Rauchwolke an die Windschutzscheibe und wir beobachteten beide, wie sie am Glas aufwärts kroch und dann in sich selbst zurückrollte wie eine Welle.
Ich kann mich nur vage an das Gesicht meines Vaters an jenem Tag erinnern. Ich war zu nervös, um ihn länger als eine Sekunde am Stück anzusehen, und ich war zu fasziniert von seiner Stimme. Außerdem war ich zu sehr auf die Rede fixiert, die ich halten wollte. Ich hatte vor, meinen Vater aufzufordern, mir Geld zu geben. Wenn es mir gelänge, die richtigen Worte zu wählen und sie gut zu übermitteln, würde ich mit einer Handvoll Bargeld zu meiner Mutter zurückkehren, und wir könnten bei Opa ausziehen und sie müsste nie wieder vor Wut singen oder auf ihren Taschenrechner einhacken. Ich übte in Gedanken, holte tief Luft und wappnete mich. Ist nicht anders, als wenn man im Schwimmbad vom Zehnmeterbrett springt, redete ich mir ein und schloss die Augen. Eins. Zwei. Drei.
Es ging nicht. Ich wollte nichts sagen, was dazu führte, dass die Stimme wieder verschwand. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster auf die Slums und Spirituosengeschäfte und Schneewehen aus Papier am Straßenrand. Wir mussten ziemlich weit von Manhasset entfernt sein, und ich fragte mich unsicher, was ich tun würde, wenn mein Vater immer weiterfuhr und mich nicht mehr zurückbrachte; gleichzeitig hatte ich Schuldgefühle, weil mir diese Vorstellung einen freudigen Schauer über den Rücken jagte.
Wir hielten vor einem Backsteinhaus, in dem es nach Tomatensauce und Grillwürstchen roch. Ich wurde in eine Küchenecke geschoben, wo ich zu einer Reihe gewaltiger Frauenhintern aufblickte. Fünf Frauen, einschließlich einer namens Aunt Fatty, standen am Herd und kochten. Nachdem mein Vater mehrere Portionen von Aunt Fattys Auberginen verschlungen hatte, ging er mit mir in eine benachbarte Wohnung, um seine »Gang« zu begrüßen. Wieder wurde ich in eine Ecke verfrachtet und bekam den Auftrag, mich selbst zu beschäftigen. Aber ich beobachtete meinen Vater und drei Pärchen, die um einen Tisch saßen, Karten spielten und tranken. Schon bald fingen sie an, ihre Kleider auszuziehen.
»Du bluffst«, sagte jemand.
»Stimmt! Ein Glück, dass ich heute saubere Unterwäsche anhabe.«
»Ein Glück, dass ich heute überhaupt Unterwäsche anhabe«, sagte mein Vater unter schallendem Gelächter.
Mein Vater hatte nur noch seine Boxershorts und eine schwarze Socke an. Dann verlor er die Socke. Er studierte seine Karten, hob eine Augenbraue, und alle ächzten vor Lachen, während er den Panischen mimte, weil er sein letztes Kleidungsstück zu verlieren drohte.
»Johnny«, sagte jemand zu ihm. »Was hast du?«
»Momma, ich hab nichts mehr am Leib – du kannst sehen, was ich hab!«
»Johnny hat nichts.«
»Ach Scheiße, ich will Johnnys Ding nicht sehen.«
»Genau meine Meinung. Johnny ist draußen.«
»Moment!«, sagte mein Vater. »Der Junge! Ich setze den Jungen!« Er rief mich, und ich ging zu ihm. »Seht euch das junge Prachtexemplar an. Hättet ihr nicht lieber diesen hübschen kleinen Bengel als einen Blick auf meine Männlichkeit? Hättet ihr nicht lieber meinen Kleinen
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