Tentakel-Trilogie 2: Tentakeltraum
dreijährige Dienstzeit auf der kleinen Flottenstation angetreten war. Ganz unabhängig davon, ob man den Brocken Felsen für den äußersten »richtigen« Planeten des Sonnensystems oder ob man ihn nur für einen unter vielen größeren Weltraumsteinen in dieser Region hielt, allein die Tatsache, dass das Sphärenkommando hier seit Jahrhunderten eine kleine Ortungs- und Relaisstation unterhielt, machte diese Welt zu etwas Besonderem. Man sah die Sonne von hier aus – sie war ein etwas größerer weißer Klecks als die anderen vielen weißen Kleckse im Universum – und doch fühlte man sich von jeder Zivilisation im zentralen System der Irdischen Sphäre sehr weit entfernt.
Rabidi Hamfi teilte sein Schicksal mit insgesamt 36 weiteren Flottenangehörigen, die eine ähnlich enthusiastische Meinung von ihrem Arbeitsplatz hatten wie er. Dazu kam ein oft wechselndes Kontingent von Wissenschaftlern, meist Zivilisten, die hier das eine oder andere erforschten: Strahlung, die Oortsche Wolke, Gravitationsschwankungen und derlei spannende Dinge mehr, die Hamfi dermaßen egal waren, dass ihm zum Ausdruck seiner Indifferenz längst das Vokabular ausgegangen war. Die Wissenschaftler waren die Einzigen, die ansatzweise Interesse an dem hatten, was sie hier taten, und die Militärangehörigen ertrugen die schnatternde Gemeinde auch nur, weil oft hübsche und junge Studentinnen und Studenten in diese Einöde mitgeschleppt wurden. Diese teilten die Verachtung der Soldaten für Pluto, hatten oft eine gewisse Fantasie, was die Organisation der Freizeitaktivitäten anging und zeigten große Bereitschaft, beim Schmuggel verbotener Quantitäten diverser bewusstseinserweiternder Substanzen behilflich zu sein.
Was Hamfis aktuelle Situation gleich noch unerträglicher machte, denn von dieser Subspezies der Zivilisten war derzeit niemand anwesend. Das zivile Kontingent bestand aus sehr erwachsenen, sehr von ihrer Arbeit überzeugten und außerordentlich nervtötend langweiligen Männern und Frauen. Sie aßen sogar die Flottenverpflegung ohne sichtbares Klagen und entzogen damit den Marineangehörigen die letzte gemeinsame Basis für ein entspanntes Gespräch.
Für Sergent Hamfi gab es daher keine Alternative, als seinen Dienst zu versehen. Als Ortungsspezialist erster Klasse wusste er, dass jeder mal durch so ein Tal der Tränen hindurch musste, und dass danach neben einer Beförderung im Regelfalle die Rotation auf einen weniger frustrierenden Posten bevorstand, ein Gedanke, an den der 29jährige Sergent sich klammerte und auf den er sich immer dann konzentrierte, wenn ihm die sprichwörtliche Decke auf den Kopf zu fallen drohte.
Was ziemlich oft der Fall war.
Hamfi schob Dienst, seine übliche Acht-Stunden-Schicht, gefolgt von acht Stunden Freiwache und acht Stunden Freizeit, die er im Regelfalle schlafend verbrachte. Seit in der Sphäre der militärische Ausnahmezustand herrschte, mussten alle militärischen Einrichtungen, vor allem die Ortungsstationen, mindestens doppelt besetzt werden, und so hockte Hamfi zusammen mit Caporal Lienne Lecourt in der Radarzentrale der Plutostation. Gemeinsam ignorierten sie die Anzeigen der Weitbereichsscanner, denn sie wussten genau, dass die elektronische Überwachung der Stations-KI weitaus aufmerksamer und unermüdlicher war als sie beide. Sie fühlten sich als Staffage, benahmen sich so, tranken schlechten Flottenkaffee, erzählten einander die ewig gleichen Witze und versuchten immer dann, wenn der wachhabende Offizier vorbei kam, Aufmerksamkeit und Dienstbereitschaft zu simulieren. Nach jeder kurzen Inspektion verzog sich der Offizier wieder in die Messe zum Kartenspiel, und die beiden Ortungsspezialisten riefen illegal gespeicherte Spiele auf ihren Konsolen auf, so war es immer gewesen und so würde es immer sein.
Zumindest fast.
Erst nahm er das rote Pulsieren gar nicht bewusst wahr.
Dann blickte Lecourt auf, warf einen beiläufigen Blick auf den Monitor vor ihr, erblasste, kniff die Augen zusammen, und ehe Hamfi auch nur ein Wort sagen konnte, knallte ihre Rechte auf den großen, roten Alarmknopf, drückte ihn tief in die Fassung und das jammernde Quaken der Sirene erklang.
»Was zum …«
Lecourt schaute ihn gar nicht an.
»Sie sind da!«, sagte sie nur.
Hamfi beugte sich vor. Eine scheinbare Myriade von Leuchtpunkten war auf den Schirmen erschienen. Die Ortungs-KI zeigte sofort eine Gesamtzahl.
1466.
Es konnte sich nur um die Tentakelflotte handeln.
Stolpernde Schritte, Flüche
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