Teppichporsche: Kriminalroman (German Edition)
Etliche Anwohner hatten die Rollläden heruntergelassen oder die Vorhänge zugezogen. Eine alte Dame mit grauweiß gewelltem Haar steckte ihren Kopf aus dem Fenster. Ihr Vorbau war auf einem Daunenkissen gepolstert und straff in ihren Armen verschlungen, wahrscheinlich, damit er nicht hinunterfiel. Der Bürgersteig unter ihr war zugeparkt und teilweise mit Sperrmüll zugestellt. Ich studierte die Klingelschilder ihres Hauses. Es wohnten acht Mietparteien dort, einschließlich Nowak. Die Haustür war aus weißem massivem Holz gefertigt und hatte weder eine Sichtscheibe noch einen Spion. Auf Fußhöhe war sie vergilbt. Ich war nicht scharf darauf, in dieses Haus zu gehen. Allerdings hatte ich gerade eine halbe Stunde lang in einem ausgemergelten Bus ohne Frischluft und Klimaanlage gesessen. Und dieser Trip, der mir für die Rückfahrt erneut bevorstand, sollte nicht umsonst gewesen sein. Also nahm ich einen tiefen Atemzug, presste meine Lippen zusammen und drückte auf die Klingel.
Ich hörte gar nichts. Ich hörte weder die Klingel noch einen bellenden Hund noch sonst irgendetwas. Entweder war die Schelle kaputt oder es war niemand zu Hause. Ich wollte mein Glück nicht überstrapazieren und verzichtete darauf, ein zweites Mal zu läuten. Teils frustriert, teils erleichtert trat ich den Rückzug an.
»Also gut. Schluss jetzt. Wo ist mein Auto?« Gereizt von der sauerstoffarmen Busfahrt stieß ich die Glastür auf und durchschritt eine Wand aus kalter, stehender Luft. »Ich will meine Scheißkarre wieder.«
Metin saß mit Sven an seinem Schreibtisch. Gemeinsam blätterten sie ein paar Unterlagen durch. Metin schwitzte, Sven hatte eine Gänsehaut auf seinen Ärmchen. Corinna saß vor dem Computer und döste in die Tiefen des Internets hinein. Ihre Fäuste stützten ihren Kopf, ihre Pupillen bewegten sich nicht. Es schien, als würde sie mit offenen Augen schlafen.
»Deine Schüttelrutsche ist in guten Händen«, sagte Metin, ohne aufzusehen. Ich hielt die Luft an. Dieser Hanswurst hatte mich hinterrücks überrumpelt und blutig geschlagen. Und er hatte mir mein Auto weggenommen. Ich hätte ihn anzeigen müssen. Vielleicht hätte ich sogar kündigen sollen. Aber so wäre ich nicht nur eine Flenntrine gewesen. Womöglich hätte ich mein Auto nie wiedergesehen.
»Wann bekomme ich sie zurück?«, fragte ich schlaff.
»Morgen früh.«
»Kannst du mich dann nach Hause bringen? Wenn ich noch einmal mit dem Bus fahre, muss ich mich auf meinem Sitznachbarn übergeben.«
»Du bist mit dem Bus gefahren?«, tat Metin überrascht.
»Was hätte ich denn machen sollen?«
»Du hättest mich fragen können, ob ich dir mein Auto leihe.«
»Hättest du es mir denn gegeben?«
»Nein.« Er lachte laut auf und klatschte seine gedrungene Hand mit voller Wucht gegen Svens knochige Schulter, sodass der beinahe vom Stuhl kippte. Manchmal konnte er ein echter Drecksack sein.
»Ich bringe dich heim«, erklärte schließlich Sven und stand auf. Sein T-Shirt flatterte wie ein Bettlaken um seinen schmächtigen Körper. Ich lächelte schwach und folgte ihm hinaus auf die andere Straßenseite. Er drückte auf den Knopf seiner Funkfernbedienung und die Türschlösser seines goldig glänzenden Ford Fiesta sprangen auf. Wir setzten uns in den dreitürigen Backofen und kurbelten die Seitenfenster hinunter.
»Wo wohnst du?«
»In Hamme in der Dorstener Straße. Über Adolfo’s.«
»Du lieber Himmel«, entfuhr es ihm.
Adolfo’s war ein Restaurant mit italienischen Spezialitäten, geführt von zwei Griechen und einem Inder. Keiner von ihnen hörte auf den Namen Adolfo. Der Älteste hieß Anastasios und wohnte mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern im Stockwerk direkt über dem Restaurant. Er trug einen Pferdeschwanz, begrüßte die Leute mit ›Ciao, Ragazzi!‹ und sang zu Roger Whittaker, wenn er spätabends das Ladenlokal fegte.
Ich wohnte im Dachgeschoss in der rechten Hälfte. Die Wohnung gegenüber hatte kein Klingelschild, doch hin und wieder gingen dort Leute ein und aus. Das Haus war dreigeschossig und verfügte über keinen Aufzug. Als ich vor vier Jahren eingezogen bin, war ich fest entschlossen, fitter und sportlicher zu werden und hielt die Stufenplackerei für ein gutes Training. Nach einem halben Jahr sah ich ein, dass ich unter einer bipolaren Störung litt und bei Vertragsunterzeichnung einer manischen Hochphase erlegen war.
Meine Wohnung war spartanisch eingerichtet. Vom quadratischen Flur gingen sämtliche
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