Teranesia
würfelte mehrere tausend Male und wählte dann eine bestimmte Konformation für das Analysemodell aus. Und bei den ersten Experimenten in der Retorte schien die Natur praktisch dasselbe getan zu haben: Als die DNS-Stränge mit wahllosen Fehlern kopiert wurden, hatte das SPP anscheinend nur das Quantenrauschen verstärkt, wenn es eine neue Base in den Strang einfügte. Doch die nahezu perfekte Kopie der Fruchttauben-Chromosomen und die sukzessiven Veränderungen der DNS aus den Suresh-Schmetterlingen zeigten, dass hier etwas viel Subtileres am Werk war.
Die entscheidende Subtilität, so behauptete Furtado, bestand darin, dass die Wahrscheinlichkeiten, die die Gestalt des Proteins bestimmten, nicht absolut gleich waren. Irgendeine musste stets begünstigt sein, obwohl das Gleichgewicht so diffizil war, dass das Ergebnis mit feinster Präzision vom gesamten Quantenzustand des DNS-Strangs abhing, mit dem das Protein verbunden war. Furtado vermutete, dass das SPP diese Empfindlichkeit dazu nutzte, die Anzahl der verschiedenen ›kontrafaktischen Varianten‹ der DNS zu zählen: ähnliche, aber nicht identische Sequenzen, die stattdessen hätten realisiert werden können, wenn die tatsächlichen Mutationen in jüngster Zeit anders verlaufen wären. Wenn die Sequenz der neuen DNS-Kopie durch die häufigsten Varianten diktiert wurde, erklärte das, warum die Mutationen nicht zufällig waren, warum sie niemals zum Tod oder zu Beeinträchtigungen des Organismus führten. Weil sie vorher getestet und für erfolgreich befunden worden waren – nicht in der Vergangenheit, wie Grant in ihrer Hypothese angenommen hatte, sondern in unterschiedlichen Quantenhistorien.
Prabir blickte vom Notepad auf. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Mit Nobelpreisen überschüttete Physiker haben sich in den letzten hundert Jahren ständig mit verfaultem Obst beworfen, was die Interpretation der Quantenmechanik betrifft. Und soweit ich weiß, sind sie immer noch damit beschäftigt. Diese Problematik wurde niemals geklärt. Wenn Furtado von der Viele-Welten-Hypothese überzeugt ist, kann er eine lange Liste berühmter Physiker anführen, die ihn unterstützen würden. Wie könnte ich etwas dazu sagen? Aber die Gewinnung von Informationen aus anderen Quantenhistorien ist etwas ganz anderes. Selbst die meisten der treuesten Anhänger würden Ihnen sagen, dass es völlig unmöglich wäre.«
»Das entspricht ziemlich genau meinen eigenen Überlegungen«, sagte Grant. Sie beugte sich vor, um zu sehen, wie weit er den Text gelesen hatte. »Etwas später kommt eine interessante Spekulation über die Art der Datenanalyse, die das Protein vielleicht einsetzt, um die Interferenzmuster, die von der DNS und ihren zahlreichen Varianten erzeugt werden, aus dem thermalen Rauschen herauszufiltern. Wenn auch nur ein Teil davon stimmt, scheint die Evolution mit dem SPP einen erstaunlich leistungsfähigen Quantencomputer hervorgebracht haben.«
Prabir scrollte weiter und sah sich den Abschnitt an, auf den sie ihn hingewiesen hatte. Die meisten Gleichungen überstiegen seine mathematischen Fähigkeiten, aber es gab auch einige Textpassagen, denen er folgen konnte.
Obwohl sich der Hilbert-Raum, in dem die reinen Zustände realisiert sind, nicht mit absoluter Sicherheit rekonstruieren lässt, wurde für einfachere Systeme theoretisch bewiesen [Deutsch 2012, Bennett 2014], dass sich durch eine erschöpfende Suche nach globalen Entropieminima über den unbekannten Freiheitsgraden mittels Nutzung der Quantenparallelitäten in polynomischer Zeit die wahrscheinlichen Kandidaten identifizieren lassen.
Konnte ein sehr schlechter Quantencomputer ein Gen für einen etwas besseren gefunden haben? Und so weiter? Genau das behauptete Furtado, aber im letzten Abschnitt seines Artikels räumte er ein, dass es unmöglich wäre, hierfür einen direkten Beweis zu erbringen. Die Modellbildung irgendeiner Version des São-Paulo-Pro-teins mit der erforderlichen Genauigkeit war einfach nicht machbar. Allerdings plante er ein Experiment, das seine Hypothese falsifizieren konnte: Er war dabei, eine Kopie eines Fruchttauben-Chromosoms zu synthetisieren, bis hinunter zu den Methylierungsmustern. Dieses Molekül wäre mit dem biologischen Chromosom identisch, sowohl hinsichtlich der reinen Basensequenz als auch aller sonstigen bekannten ›epigenetischen‹ chemischen Details. Nur der Quantenzustand hätte keinerlei Korrelation zur DNS eines lebenden Vogels, sei sie nun real oder
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