Teranesia
ihn wiedererkennen und fragen, warum er so lange fort gewesen war. Das war natürlich unwahrscheinlich; die Menschen, mit denen sie hier zu tun gehabt hatten, waren zwar sehr freundlich gewesen, aber aufgrund seines gebrochenen Indonesisch und der nicht sehr häufigen Besuche der Familie hatte er niemals die Gelegenheit erhalten, jemanden näher kennen zu lernen.
Die Fahrt rund um Ambon Harbour dauerte fast eine Stunde. Das Wasser wirkte viel sauberer als in seiner Erinnerung; normalerweise hatte sich die Fähre bereits weit außerhalb der Bucht durch einen Ölfilm mit schwimmendem Müll kämpfen müssen.
Er stieg in der Stadt aus und machte sich auf den Weg zum Hotel. Die Straßen bestanden aus kürzlich restauriertem Kopfsteinpflaster und wurden in regelmäßigen Abständen von Palmen gesäumt. Die heulenden Motorroller, an die er sich noch gut erinnerte, waren offenbar aus dem Stadtzentrum verbannt worden. Nirgendwo gab es Plakate oder aufdringliche moderne Werbung an den Läden; eine beinahe eintönige Reihe aus weißen Steinfassaden strahlte in der Sonne. Es war vermutlich ein gezielter Versuch, den Stil der holländischen Kolonialzeit für die Touristen wiederzubeleben, nachdem die letzten Reste der originalen Gebäude während des Zweiten Weltkriegs gründlich zerbombt worden waren.
Als Kind hatte er sich nie mit dem Stadtplan von Ambon vertraut machen können, sondern war immer auf die Führung seiner Eltern angewiesen gewesen. Er erkannte keins der Gebäude wieder, die er passierte, und er hatte keine Ahnung, wo er sich in Relation zu den Geschäften und Märkten befand, in denen sie damals ihre Vorräte eingekauft hatten. Doch der Winkel des Lichts und der Geruch in der Luft genügten bereits, um ihm ein beunruhigendes Gefühl der Vertrautheit zu vermitteln. Es war gar nicht nötig, dass die Vergangenheit bis auf jeden Ziegelstein rekonstruiert wurde, um eine Verbundenheit mit diesem Ort zu spüren.
Eine kleine Menschengruppe in farbiger und formell wirkender Kleidung stand am Rand des Hauptplatzes. Die Leute hatten die Arme seitlich ausgestreckt, die Augen halb geschlossen, und sie sangen, während sie heftig schwitzten. Hinter ihnen stand eine durchhängende Papptafel mit mehreren Worten auf Indonesisch. Prabir war zu müde, um in seinem Gedächtnis nach einer ungewissen Übersetzung zu kramen, und als er am unteren Rand eine Quellenangabe bemerkte – bestehend aus Buch, Kapitel und Vers –, verzichtete er darauf, sein Notepad hervorzuholen und die Vokabeln abzufragen.
Nach dem Bürgerkrieg waren missionarische Christen aus den USA in Scharen über die Region hergefallen, aber in West-Papua waren sie wesentlich erfolgreicher, wo der gegenwärtige Präsident zu einer Wiedergeburtspsychose konvertiert war. Prabir war sich nicht sicher, warum sich die Molukken diesmal als so widerstandsfähig erwiesen hatten; der spanische Katholizismus hatte die Inseln im Handstreich erobert, dann waren alle zum niederländischen Katholizismus übergelaufen – obwohl das sicherlich zum Teil der Versuch gewesen war, mit den Leuten zurechtzukommen, die einem gerade die Pistole an den Kopf hielten. Vielleicht hatten sich die Amerikaner nicht ausreichend bemüht, ihre Islamphobie zu verbergen, womit sie hier keinen guten Eindruck hinterließen. Die Beziehungen zwischen Christen und Moslems auf Ambon hatten in den chaotischen ersten Jahren nach dem Ende der Suharto-Ära nahezu irreparable Schäden erlitten, als die von Provokateuren angeführten Aufstände Hunderte von Menschenleben gefordert hatten. Ein Jahrzehnt später waren unter der Dunsthaube des Krieges ganze Dörfer ausgelöscht worden. Mit der Unabhängigkeit hatte sich die Regierung der Republik Maluku Selatan bemüht, die fünfhundert Jahre alte Tradition der Allianzen zwischen christlichen und moslemischen Dörfern wiederzubeleben. Diese Pela- Allianzen waren einstmals berühmte und erfolgreiche Beispiele für den Abbau interreligiöser Spannungen gewesen, und auf einigen abgelegenen Inseln waren sie immer noch so tief verwurzelt, dass Christen Moscheen für die Moslems und Moslems Kirchen für ihre christlichen Nachbarn bauten. Die Wiedererweckung der Pela- Ideemit der Gelegenheit, die Jahre der Gewalt als Verirrung abzuschreiben, war vermutlich der Hauptgrund, warum sich die RMS nicht in einem endlosen Zyklus der Rachefeldzüge zerrissen hatte.
Prabir wollte schon weitergehen, als er zu Füßen der Sänger das Ausstellungsstück bemerkte, das
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