Terra Science Fiction
zeigte sie eine heftige Abwehrreaktion. Sie geriet in Panik und sah keinen Ausweg mehr – außer dem einen. Judith griff nach meiner Zeitnadel und erstach sich damit, bevor ich es verhindern konnte. Natürlich galten ihre Gedanken im Augenblick des Todes Ihnen, daher war ich nun doppelt gefangen. Ich unternahm einen Versuch, sie zu retten, indem ich sie in der Zeit vorwärts bewegte und ihren Körper in einem parallelen Zeit-Kontinuum neu erschuf …«
Marriott hörte gebannt zu, ohne wirklich etwas zu verstehen. Was er aber zu begreifen glaubte, war, warum Judith sich wirklich erstochen hatte. Sie hatte gespürt, daß er sie für nicht gut genug für einen Marriott hielt. Sie hatte seine Zweifel gefühlt, die ganze Zeit über schon, und verzweifelt versucht, seine Achtung doch noch zu gewinnen, sich als ebenbürtig zu zeigen. Dann, als der Fremde erschien und sie fürchtete, von ihm überfallen und vergewaltigt zu werden, brach dieses ganze künstliche Gebäude für sie zusammen. Sie wußte, daß sie ihm nach dieser Demütigung nicht mehr würde unter die Augen treten können. In einem Anfall blinder Verzweiflung hatte sie den Tod vorgezogen.
Marriott verstand nicht mehr von den wirren Erklärungen des Fremden, als daß dieser plötzlich auftauchte und Judith bedrängte. Dies war für ihn sonnenklar, alles andere egal. Er wußte: Dieser Mann hatte Judith auf dem Gewissen!
Er schrie auf und sprang auf den Fremden zu, griff nach ihm und packte einen Wirbelwind!
Seine Finger berührten einen nackten Körper, der sich so hart anfühlte, als bestünden die Muskeln unter der Haut aus Metall. Als er versuchte, den Mann von den Beinen zu reißen, griffen Hände nach ihm so hart wie Stein, und steinerne Fäuste stießen ihn so jäh zurück, daß er für einen Moment glaubte, die Rippen gebrochen zu haben. Marriotts Körper war ein einziger Schmerz. Verzweiflung und Haß rasten in ihm. Er kannte nur einen Gedanken: Rache und Vernichtung!
Rache für Judith! Er warf sich erneut auf den Fremden und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Er fühlte, wie seine Faust etwas zerschmetterte. Der Fremde schrie auf und sprang zurück, wand sich, taumelte.
»Sie Narr!« Der Gedanke explodierte in Marriotts Bewußtsein. »Sie verdammter Narr! Ich versuchte, mich lange genug in dieser Dimension zu halten, um Sie aus dieser alternativen Welt zu befreien! Nun ist es zu spät!«
Der Mann war in die Schatten neben dem Haus geschwankt. Er blieb stehen. Marriott war unfähig, ihm zu folgen. Er sah die Gestalt aufleuchten. Das Licht wurde so grell, daß er die Augen zukneifen mußte. Als er sie wieder aufschlug, war der Mann verschwunden.
Marriott taumelte in die Dunkelheit, weigerte sich zu begreifen, daß dort nichts mehr war. Er schlug wie rasend mit beiden Armen um sich, als wäre die Luft, wären die Schatten seine leibhaftigen Gegner. Schließlich verlor er sein Gleichgewicht, stürzte und landete auf einem Knie und beiden Händen im Gras.
Es dauerte eine Weile, bis er zu sich selbst zurückfand. Es gab keinen anderen mehr, und indem er dies nun endlich akzeptierte, begann er etwas von dem zu ahnen, was der Fremde ihm hatte mitteilen wollen. Langsam richtete er sich auf und ging mit unsicheren Schritten zur Haustür.
Als er sie aufschloß und eintrat, hörte er Judiths Stimme aus dem Wohnzimmer:
»Bist du das, Liebling?«
Marriott lehnte sich an eine Wand. Er fühlte, wie sein Körper und Geist sich entkrampften.
Natürlich! dachte er. Hier bin ich nun, und hier werde ich für den Rest meines Lebens bleiben …
»Ja, Liebling!« rief er. »Ich bin da!«
Er drückte die Tür hinter sich zu und ging ins Haus.
THOMAS LOIKAJA
Der Autor stammt aus Estland (heute UdSSR). Schon in früher Jugend entdeckte er seine Liebe zur Astronomie, die ihn über Space-Operas und Utopia-Klassiker zur SF führte. Erste einschlägige Erzählungen schrieb er mit 16. Er verbrachte einige Zeit in England und Deutschland und schlug sich während seines Studiums mit Gelegenheitsarbeiten durch. Heute lebt er als Schriftsteller, Philosoph und Naturwissenschaftler in Wien. Die Story-Kollektion STÜTZPUNKT IM SANDMEER (Band 449) war seine erste Veröffentlichung in TERRA ASTRA. Ein weiterer Story-Band ist geplant.
Thomas Loikaja
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