Terror auf Stiles Island
Fitnesstrainers erkennen. Sie hatte volles, akkurat geschnittenes Haar, perfektes Make-up und Schmuck, der nicht aufdringlich, aber definitiv teuer war. Marcy sah auch mit einem Blick, dass ihre Kleider, so leger sie aussehen mochten, eine Stange Geld gekostet haben mussten. Jenn setzte sich auf den gegenüber stehenden Stuhl und Marcy blieb nicht verborgen, dass Jenn sie ebenfalls von oben bis unten musterte. Ihr wurde auch plötzlich klar, dass Jenn ein wenig wie sie selbst aussah. Jünger. Vielleicht auch attraktiver, aber in jedem Fall gab es Ähnlichkeiten. Jenn griff zur Speisekarte, die aus einem einzigen fotokopierten Blatt Papier bestand.
»Haben Sie schon bestellt?«
»Nein, aber das sollten wir besser tun, bevor wir zu reden anfangen.«
Sie waren für einen Moment still und studierten das Menü. Die Kellnerin kam und nahm die Bestellung entgegen. Beide bestellten einen gemischten grünen Salat und Cola Light – und mussten wegen der Diät-Doublette lachen.
»Es ist ein ewiger Kampf, nicht wahr?«, sagte Jenn.
»Ein Kampf, den Sie jedenfalls zu gewinnen scheinen«, sagte Marcy.
Jenn lächelte ob des Kompliments – ganz so, als habesie es nicht anders erwartet. Die Kellnerin kam mit den Salaten und einem Brotkörbchen.
»Sie wollten über Jesse reden«, sagte Jenn.
Marcy hatte darüber nachgedacht, seit sie gestern Abend ihren spontanen Anruf getätigt hatte. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht wusste, wie sie das Gespräch eröffnen sollte. Sie wollte einfach warten, bis sie die Frage stellte – und dann spontan reagieren.
»Haben Sie ihn je bei der Arbeit beobachtet?« war alles, was spontan aus ihr rauskam.
»Marcy, er war Cop in L.A., als ich ihn geheiratet habe.«
»Aber haben Sie ihn wirklich einmal als Cop erlebt?«
Jenn verstand, worauf sie hinauswollte.
»Sie meinen so, wie Sie ihn gestern erlebt haben?«, fragte Jenn.
»Genau. Ich weiß, es geht mich nichts an, und es ist vermutlich meine Dankbarkeit oder die Nachwirkung des Schocks, die aus mir sprechen, aber: Mein Gott, Sie hätten ihn einfach sehen müssen.«
»Erzählen Sie mir mehr«, sagte Jenn.
»Er war … ich weiß es nicht. Wir waren Gefangene, die willenlos weggeführt wurden – und plötzlich war er da. In der einen Minute ist man völlig geschockt und ohne Hoffnung – und dann …« Marcy fand nicht die Worte, um ihre Gefühle zu beschreiben.
»War er sich seiner Sache sicher?«, fragte Jenn.
»Absolut.«
»Kann ich mir gut vorstellen«, sagte Jenn. »Und Sie haben gesehen, wie er den Mann erschossen hat?«
»Ja.«
»War es schlimm?«, fragte Jenn.
»Nein.«
»Jesse kann ein harter Hund sein«, sagte Jenn.
»Und ein verdammt mutiger.«
Jenn nickte.
»Ja«, sagte sie. »Verdammt mutig.«
Sie pickten für eine Weile in ihren Salaten herum. Es war vorwiegend Eisbergsalat – mit genau einem roten Zwiebelring und zwei Kirschtomaten.
»Davon werden wir bestimmt nicht fett«, sagte Marcy.
Jenn lächelte.
»Aber auch nicht glücklich«, sagte sie und schlang ein Salatblatt herunter. Das leuchtend organgefarbene Dressing befand sich in einer kleinen separaten Schale.
»Tut mir leid wegen des Restaurants«, sagte Jenn. »Ich hab’s nur vorgeschlagen, weil es in der Nähe vom Sender ist.«
»Das scheint wirklich sein einziger Vorzug zu sein«, sagte Marcy.
»Beim nächsten Mal bin ich schlauer.«
Sie widmeten sich wieder ihrem Salat.
»Warum erzählen Sie mir das alles von Jesse?«, fragte Jenn.
»Ich hatte die Hoffnung, dass es vielleicht dazu beitragen würde, mit Ihren Gedanken ins Reine zu kommen.«
»Er hat Ihnen von mir erzählt?«
»Ja.«
»Sind Sie ein Paar?«
»Nein, nur gute Freunde.«
»Vögeln Sie mit ihm?«, fragte Jenn.
»Ja.«
»Aber Sie lieben ihn nicht?«
»Es ist schon lange her, dass ich glaubte, die beiden Gefühle seien untrennbar.«
Jenn lächelte, wollte sich aber nicht weiter auf eine Diskussion über Liebe und Sex einlassen. »Aber Sie mögen ihn sehr?«
»Ja.«
»Es ist so leicht, ihn zu mögen«, sagte Jenn. »Ich kann gar nicht anders.«
»Aber lieben Sie ihn auch?«
»Ja, keine Frage: Ich liebe ihn.«
»Aber?«
»Aber … ihn zu lieben und mit ihm zu leben sind zwei Paar Schuhe.«
»Verstehe ich nicht.«
»Das müssen Sie ja auch nicht.«
Zum ersten Mal hörte Marcy eine metallische Schärfe in Jenns Stimme, die sie nicht erwartet hatte. Sie war wohl doch mehr als nur das hübsche Aushängeschild der Abendnachrichten. Es überraschte sie ein
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