Terror: Thriller (German Edition)
Terrorfinanzier.« Kersting sah Marc bedauernd an.
»Was meinen Sie wohl, was man uns auf der Polizeiwache sagen würde?«
»Außerdem«, ergänzte Klaus, »müsste man den deutschen Polizeibeamten klarmachen, dass sie nichts von alledem an ihre italienischen Kollegen weitergeben dürften, weil wir die nicht nur verdächtigen, einen Mord zu vertuschen, sondern weil wir außerdem glauben, dass sie nachts ihre Häftlinge halb totprügeln.«
Klaus und Kersting lachten, aber Marc war überhaupt nicht zum Lachen zumute.
»Herrgott«, sagte er wütend, »ich weiß doch genau, wie das klingt! Aber es ist nun mal so. Ich versuche nur einen Weg zu finden …«
»Die Situation ist grotesk.« Kersting war wieder ganz ernst. »Es gibt kein klares Verbrechen. Wir können nicht zur Polizei gehen. Ihre Überlegungen waren völlig richtig: Erst wenn es gelingt zu beweisen, dass der Schnauzbart den Marokkaner bedroht oder sonst etwas Finsteres im Schilde führt, können wir die Behörden einschalten. Alles andere ist Spekulation. Dafür sind in unserem demokratischen System die Journalisten zuständig. Die müssen recherchieren und im Schlamm wühlen und hoffen, dass sie etwas Brauchbares zutage fördern.« Er sah von Marc zu Klaus und ergänzte: »Und die Journalisten sind wir. Wir müssen genauso weitermachen wie bisher. Ich sehe keine andere Möglichkeit.«
In der S-Bahn wechselten Marc und Klaus kaum ein Wort. Marc fühlte sich, als habe er einen Boxkampf über zwölf Runden hinter sich gebracht. Es war weit nach Mitternacht. Die S-Bahn war voll.
»So was kennt man doch eigentlich nur von Horst Mahler«, murmelte Klaus plötzlich vor sich hin. Es war eher ein laut ausgesprochener Gedanke, als der Einstieg in ein Gespräch, aber Marc fragte trotzdem nach:
»Wie meinst du das?«
»Na das, was Kersting über diesen Ranieri erzählt hat, diese abrupten Wechsel der Weltanschauung. Von extrem rechts nach extrem links …«
»Bei Mahler war’s aber andersrum«, warf Marc ein.
»Nein, das stimmt nicht«, sagte Klaus, »Mahler kommt aus einer extrem rechten Ecke, das ist nur nicht so bekannt, der ist von rechts nach links und wieder zurück nach rechts gewechselt.«
Marc zuckte mit den Schultern und schwieg. Er war müde.
Als sie über den Kollwitzplatz nach Hause gingen, hatte der Regen nachgelassen.
Die Haustür stand immer noch offen. Logisch.
»Morgen ist der Hausmeister dran.« Marc blitzte die Türfalle böse an.
»Pfingstwochenende,« diagnostizierte Klaus. »Kein Hausmeister in ganz Berlin rührt da einen Finger.
»Scheiß auf Pfingsten«, knurrte Marc.
»Viel Glück«, spottete Klaus.
Er lud Marc ein, noch auf ein letztes Bier mit reinzukommen. Aber Marc winkte ab.
»Ich muss ins Bett, ich bin völlig im Eimer.«
Er holte seine Tasche aus Klaus’ Wohnung und ging nach oben. Eine Viertelstunde später lag er im Bett. Aber er konnte lange nicht einschlafen.
Im Wald zwischen Pieve und Lenzari,
Freitag, 4. Juni 2010, 20:25 Uhr
Das Haus lag jetzt direkt vor ihnen. Merkwürdig schief sah es aus. Wie ein mitten im Wald gestrandetes Schiff, dachte Carla. Anna, die zwei Meter vor ihr herging, schien es noch nicht bemerkt zu haben, jedenfalls reagierte sie nicht. Aber sie steuerte zielstrebig darauf zu. Carla warf einen kurzen Blick auf das Display ihres Handys: kurz vor halb neun. Sie waren spät dran. Sie durften sich hier nicht lange aufhalten. Sie mussten weiter, Luca wartete.
Das Haus war dicht mit Efeu und anderen Kletterpflanzen bewachsen. Auf dem Boden vor dem Haus lag Müll: Plastikflaschen, Papiertaschentücher, eine Bananenschale. Anna ging an der rechten Seite des Hauses vorbei. Sie sagte noch immer kein Wort. Carla folgte ihr. Der Eingang schien auf der anderen, dem Berg zugewandten Seite zu liegen. Als Carla um die Ecke bog, war Anna verschwunden. Sie schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Panik befiel sie.
Anna ist fort .
Ich bin völlig allein hier in diesem Wald .
Sie konnte nicht sagen, welchen der beiden Gedanken sie schrecklicher fand.
Beruhige dich. Anna ist ins Haus gegangen. Du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren.
Carla war noch zwei Meter vom Eingang entfernt, als sie Anna wimmern hörte.
Mit zwei Sätzen hatte sie die Öffnung im Mauerwerk erreicht. Sie zog den Kopf ein und trat ins Gebäude. Spinnweben legten sich wie ein Netz über ihre Haare. Sie wischte sie hektisch weg, während sie versuchte, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die im Inneren des verfallenen
Weitere Kostenlose Bücher