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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wollte es Ihnen nicht sagen, aber auf Schmerz und Blut habe ich schon immer empfindlich reagiert. Schon als Junge. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich in den letzten Wochen mit Ihnen zusammenarbeiten durfte, aber im Grunde bin ich für so etwas viel zu zimperlich. Ich finde, der heilige Augustinus hatte recht, als er sagte, dass die einzige echte Sünde der menschliche Schmerz ist. Wenn Amputationen bevorstehen, dann sollte ich besser Abschied nehmen.« Er reichte Goodsir die Hand. »Leben Sie wohl, Dr. Goodsir.«
    »Leben Sie wohl, Mr. Bridgens.« Der Arzt umfasste mit beiden Händen die ausgestreckte Rechte des Älteren.
     
     
    Bridgens wandte sich nach Nordosten und kletterte aus dem flachen Flusstal. Kein Hügel oder Kamm auf King-William-Land ragte mehr als fünfzehn oder zwanzig Fuß über dem Meeresspiegel auf. Er fand einen steinigen, schneefreien Grat, dem er folgte.

    Inzwischen ging die Sonne um zehn Uhr abends unter, aber Bridgens hatte beschlossen, nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit weiterzuwandern. Ungefähr drei Meilen vom Flusslager entfernt entdeckte er eine trockene Stelle auf dem Kamm und setzte sich hin. Er nahm einen Schiffszwieback, seine Tagesration, aus der Manteltasche und aß ihn langsam auf. Obwohl er vollkommen schal war, konnte er sich nicht erinnern, jemals etwas so Wohlschmeckendes gekostet zu haben. Er hatte vergessen, Wasser mitzunehmen, und so hob er eine Handvoll Schnee auf und ließ sie im Mund schmelzen.
    Zwischen den tiefhängenden grauen Wolken und dem hochgelegenen grauen Geröll erschien die untergehende Sonne, schwebte dort einen Augenblick als orangefarbener Ball und verschwand. Es war ein Sonnenuntergang, an dem sich auch Odysseus erfreut hätte.
    Das Licht verblasste, und die Temperatur, die den ganzen Tag knapp unter dem Gefrierpunkt gelegen hatte, sank jetzt rasch. Bestimmt ließ auch der Wind nicht mehr lange auf sich warten. Bridgens hoffte schon zu schlafen, wenn das nächtliche Gewitter aufzog und heulend über das Land und die Eisstraße brauste.
    Er griff in seine Tasche und nahm die drei Gegenstände darin heraus.
    Zuerst die Kleiderbürste, die er als Steward über dreißig Jahre lang verwendet hatte. Er berührte einzelne Fusseln und lächelte still in sich hinein, bevor er sie in die andere Tasche steckte.
    Dann folgte Harry Peglars Hornkamm. An den Zähnen hingen noch einige hellbraune Haare. Einen Augenblick lang hielt Bridgens den Kamm fest in der kalten, bloßen Faust, dann ließ er ihn neben die Bürste in die Manteltasche gleiten.
    Zuletzt kam Peglars Notizbuch. Er schlug es irgendwo auf.
    O Tod, wor ist dein Stachel, das Grab in der Comfort Cove denn wer hat irgendeinen Zweifel wie … der Färber sägt.
    Bridgens schüttelte den Kopf. Das letzte Wort musste natürlich
sagt lauten, gleich, wie der unleserliche Mittelteil der Notiz lauten mochte. Er hatte Peglar das Lesen beigebracht, aber die Rechtschreibung hatte Harry nie richtig erlernt. Da Peglar einer der intelligentesten Menschen gewesen war, die er je gekannt hatte, vermutete Bridgens, dass die Ursache im Gehirn seines Freundes gelegen hatte, in irgendeinem der Wissenschaft unbekannten Lappen, Knoten oder grauen Bereich, der die Schreibung der Wörter steuerte. Selbst nachdem Harry das Alphabet entschlüsselt hatte und die anspruchsvollsten Bücher mit dem Wissen und Verständnis eines Gelehrten las, war es ihm nicht gelungen, Bridgens auch nur einen kurzen Brief zu schreiben, ohne Buchstaben zu verwechseln und die einfachsten Wörter falsch zu schreiben.
    O Tod, wor ist dein Stachel …
    Lächelnd verstaute Bridgens das Tagebuch in der Vordertasche seiner Jacke, wo es sicher vor kleinen Aasfressern war, weil er darauf liegen würde. Dann legte er sich seitlich auf das Geröll und bettete die Wange auf die bloßen Hände.
    Nur einmal regte er sich noch, um den Kragen nach oben und den Hut nach unten zu ziehen. Der Wind frischte auf, es war bitterkalt.
    Bevor das letzte Dämmerlicht erloschen war, war John Bridgens eingeschlafen.

51
Crozier
    RETTUNGSLAGER
13. AUGUST 1848
     
     
     
    Z wei Wochen lang hatten sie die Boote zur Südostspitze der Insel gezogen, wo sich die Küste von King-William-Land jäh nach Norden und Osten wandte. Dort hatten sie angehalten, um Zelte aufzuschlagen, Jagdtrupps auszusenden und sich ein wenig auszuruhen, während sie auf das Aufbrechen des Eises in der südlich gelegenen Straße warteten. Dr. Goodsir hatte Crozier wissen lassen, dass er Zeit brauchte,

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