Terror
um die Kranken und Verletzten zu versorgen. Sie tauften das Lager Landspitze.
Dann erfuhr Crozier von dem Arzt, dass mindestens fünf Leuten während des Aufenthalts hier ein Fuß amputiert werden musste. Der Kapitän wusste genau, was das bedeutete. Jene Männer würden diesen Ort nicht mehr verlassen, da die gehfähigen Seeleute nicht die Kraft besaßen, dieses zusätzliche Gewicht in den Booten mitzuschleppen. So gab Crozier dem windgepeitschten Ort den neuen Namen Rettungslager.
Hinter diesem Namen verbarg sich der von Goodsir angeregte und bisher nur zwischen ihm und dem Kapitän besprochene Plan, dass der Arzt mit den Männern zurückbleiben würde, die sich von ihrer Amputation erholten. Vier waren bereits operiert worden, und bisher war keiner gestorben. Mr. Diggles Amputation
sollte am heutigen Vormittag stattfinden. Andere Seeleute, die zu krank oder müde waren, um weiterzumarschieren, konnten sich dafür entscheiden, bei Goodsir und den Amputierten zu bleiben, während der Kapitän, Des Voeux, Couch, Croziers bewährter Bootsmannsmaat Johnson und alle anderen, die noch Kraft hatten, nach Süden in den Meeresarm segeln würden, sobald – falls – das Eis nachgab. Diese kleinere Gruppe würde den Großen Fischfluss hinauffahren und im Frühjahr mit einer Rettungsmannschaft vom Großen Sklavensee zurückkehren – oder noch vor Einbruch des Winters, wenn sie durch ein Wunder schon unterwegs auf eine Rettungsmannschaft stießen.
Crozier wusste, dass die Chancen auf ein solches Wunder verschwindend gering waren, und auch die Möglichkeit, dass von den Kranken im Rettungslager jemand überlebte, war reines Wunschdenken. Den ganzen Sommer des Jahres 1848 hatten sie praktisch kein Wild erlegt, und daran hatte sich auch im August nichts geändert. Mit Ausnahme einiger kleiner Rinnen und der seltenen Polynjas war das Eis überall zu dick zum Angeln, und selbst in den Booten hatten sie keine Fische gefangen. Wie sollten Goodsir, seine Helfer und Patienten hier den kommenden Winter überstehen? Der Arzt hatte sich freiwillig dazu entschlossen, bei den Sterbenden zu bleiben, und damit im Grunde sein Todesurteil unterzeichnet. Das wusste er selbst genauso gut wie Crozier. Keiner von beiden sprach darüber.
So lautete der Plan – wenn Goodsir nicht an diesem Morgen seine Meinung änderte oder in dieser zweiten Augustwoche das Eis unverhofft bis zur Küste aufbrach, so dass sie mit zwei zerschlagenen Walbooten, zwei zerschrammten Kuttern und einer brüchigen Pinasse sofort in See stechen und die Amputierten, Verletzten, Ausgemergelten, Schwachen und schwer Skorbutkranken mitnehmen konnten.
Als Nahrung? , schoss es Crozier durch den Kopf.
Das war die nächste Frage, die es zu klären galt.
Immer wenn der Kapitän jetzt das Zelt verließ, hatte er zwei Waffen dabei: in der rechten Tasche wie schon bisher den großen Perkussionsrevolver und in der linken eine zweiläufige kleine Pistole – der amerikanische Kapitän, dem er sie vor Jahren abgekauft hatte, hatte sie als »Taschenwaffe für Flussbootspieler« bezeichnet. Er hatte kein zweites Mal den Fehler begangen, seine treuesten Leute aus dem Lager zu schicken, während Unzufriedene wie Hickey, Aylmore und Manson zurückblieben. Auch Leutnant George Henry Hodgson, dem Backsgast Reuben Male und dem Vortoppmann Robert Sinclair vertraute Crozier seit der gerade noch verhinderten Meuterei im Lazarettlager vor gut einem Monat nicht mehr.
Die Aussicht vom Rettungslager war bedrückend. Schon seit über zwei Wochen hing eine tiefe Wolkendecke am Himmel, und Crozier hatte seinen Sextanten nicht verwenden können. Aus dem Nordwesten war starker Wind aufgekommen, und die Luft war so kalt wie schon seit zwei Monaten nicht mehr. Die Meeresstraße im Süden war nach wie vor eine einzige feste Eismasse. Doch diese Masse war keine von gelegentlichen Pressrücken überragte Fläche, wie sie sie auf dem Marsch vom Schiff zum Terror -Lager vor so langer Zeit überquert hatten. Das Eis in der Straße südlich von King-William-Land war ein einziges Gewirr von intakten und zerbrochenen Eisbergen, von kreuz und quer sich türmenden Pressrücken, seltenen Polynjas zehn Fuß unterhalb des Eisspiegels, die nirgendwohin führten, und zahllosen rasiermesserscharfen Zacken und Eisbrocken. Crozier konnte sich nicht vorstellen, dass seine Leute in der Lage waren, auch nur ein einziges Boot durch diese Wälder und Bergzüge aus Eis zu ziehen. Nicht einmal dem Riesen Manson traute er
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