Tessa
setzt sie sich auf, umklammert ihre Beine, fixiert einen Fleck auf dem dreckigen Boden. Immer macht sie alles falsch, sie hasst sich. Ihr ist schlecht. Sie hat Lust, sich zu übergeben. Vielleicht, wenn sie alleine ist.
Sie hört Nick aus dem Badezimmer kommen, streicht schnell ihre Haare aus dem Gesicht und versucht, einen normalen Gesichtsausdruck hinzukriegen. Er steckt kurz den Kopf ins Wohnzimmer. »Ich gehe in die Agentur.« Dann nickt er ihr zum Abschied zu.
Sie hört das leise Schließen der Tür. Sie registriert, dass er die Tasche mit seinem Laptop dagelassen hat. Also muss er wiederkommen. Sie geht auf den Balkon, die Sonne strahlt. Sie blinzelt. Er ist nicht für immer gegangen. Gut. Es besteht Hoffnung. Alles wird wieder werden. Sie schließt die Augen. Gelbe Farben. Erinnerungen vom letzten Sommer tauchen auf. Der Geruch von versengtem Gras. Frisch verliebt. Vertrocknete Halme bohren sich in ihren Rücken. Sie liegt in seinen Armen. Weich gehalten. Schwerelos. Glücklich. Wohin sind nur all die Gefühle verschwunden? Schmerzhaft sehnt sie sich zurück nach dieser Zeit. Sie blickt ins Wohnzimmer, sieht wieder zu seiner Tasche. Aber wenn er in die Agentur gegangen ist, warum braucht er dann seinen Laptop nicht? Er lügt.
Tessa schleicht zu Nicks Tasche. Sie setzt sich auf den kühlen Boden und starrt sie eine Weile an, bevor sie sie vorsichtig öffnet. Es ist still in der Wohnung, durch die geöffnete Balkontür hört sie das Windspiel der Nachbarn. Sie lauscht angestrengt auf ein Geräusch im Treppenhaus, während sie vorsichtig seinen Laptop aus der Tasche zieht und auf ihren Schoß legt. Sie streicht über das silberne Gehäuse, und mit ihrem Daumen hakt sie unter die Öffnung. Mit leichtem Druck öffnet sich der Computer. Das melodische Summen ertönt, als er hochfährt. Ihr Herz schlägt heftig. Plötzlich hört sie schwere Schritte im Treppenhaus. Hastig knallt sie den Laptop zu und stopft ihn zurück in die Tasche. Sie eilt in die Küche, setzt sich an den Tisch. Ein stechender Kopfschmerz. Das leere Glas Rotwein, das vor ihr steht, schiebt sie zur Seite, dabei kippt es fast auf den daneben liegenden Papierstapel, aber sie kann es noch greifen, und ihr Blick fällt auf einen vollgekrakelten Zettel, mit drei Namen und den dazugehörigen Telefonnummern, die mit rotem Stift dick umkreist sind. Während sie den Zettel anstarrt, wartet sie auf ein Geräusch an der Tür. Mit einem unguten Gefühl wird Tessa an ihren Job erinnert. Sie müsste arbeiten. Sie schließt einen Moment die Augen, steht dann auf, um in den Flur zu gehen, und sieht durch den Spion ins Treppenhaus, doch es ist dunkel, und sie sieht nur Schwarz.
Sie holt sich ein Glas Leitungswasser, geht zurück zum Küchentisch, setzt sich wieder und starrt auf die große Wanduhr, die Zeiger stehen auf kurz nach zwölf. Sie legt ihren Kopf auf die Tischplatte, nur kurz, um sich auszuruhen, um Kraft für ihren Job zu sammeln. Ihre Arbeit ist es, Telefoninterviews mit Bewerbern zu führen, die in Doku-Soaps mitmachen möchten, und sie hasst diesen Job, aber sie braucht das Geld, also versucht sie sich zusammenzureißen, richtet sich auf, greift nach dem Telefon und wählt die erste Nummer, während sie darauf hofft, niemanden zu erreichen. Doch am anderen Ende der Leitung antwortet eine Frau, deren Interesse an einem Gespräch genauso gering wie ihres ist. Sie fasst sich kurz, versucht ihre Abneigung nicht hörbar werden zu lassen. Anschließend schreibt sie einen Bericht, wobei sie sich das meiste ausdenkt. Sie starrt wieder auf die Uhr, kurz nach halb eins. Sie greift nach dem Handy, will die nächste Nummer anrufen, ihre Hand schwebt über der Nummerntaste, doch sie legt das Telefon wieder zur Seite, denn das Gefühl, dass sie sich erst kurz ausruhen muss, ist stärker. Sie nimmt sich vor, später weiterzumachen. Langsam erhebt sie sich vom Küchenstuhl, geht ins Wohnzimmer und legt sich auf den Flokatiteppich. Ihr Blick wandert zu Nicks Tasche. Vielleicht sollte sie ihn anrufen, testen, ob er in der Agentur ist. Sie guckt sich um, ihr Kopf liegt still, nur die Augen kreisen umher. Es sieht unaufgeräumt und dreckig aus. Sie würde sich sicherlich besser fühlen, wenn sie aufstehen und das Chaos beseitigen würde. Sie muss irgendwas tun, vielleicht braucht sie nur eine Veränderung, um wieder zu Kräften zu kommen. Sie steht auf, geht ins Schlafzimmer und trägt den Fernseher ins Wohnzimmer. Mit den Füßen schiebt sie ein paar Klamotten
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