Tessa
zur Seite, damit sie ihn abstellen kann, und schaltet ihn ein. Nur kurz ausruhen. Sie legt sich auf die Couch und zappt sich durch die Programme. Auf jedem Kanal laufen Talkshows mit hässlichen Menschen auf der Bühne wie im Zuschauersaal. Sie schaltet den Fernseher wieder aus und starrt eine Weile den schwarzen Bildschirm an. Vielleicht duschen. Sie schleppt sich ins Bad, die Wassertemperatur stellt sie auf heiß und schließt die Augen, während das Wasser ihr ins Gesicht prasselt. Minutenlang bewegt sie sich nicht, und als ihr das Stehen zu anstrengend wird, setzt sie sich, mit dem Duschkopf in der Hand, in die Badewanne. Aber die Position fängt schlagartig an, sie noch mehr zu deprimieren. Sie rappelt sich auf, dreht den Hahn ab, guckt sich nach ihrem Bademantel um, doch sie kann nur ein kleines Handtuch für die Hände entdecken. Endlos enttäuscht greift sie danach, tupft schwach an ihrem Körper rum und patscht noch nass ins Schlafzimmer. Sie setzt sich aufs Bett. Versucht nachzudenken. Dann kriecht sie unter ihre Bettdecke, der wohlige Moment bleibt aus, dafür ist sie noch zu nass. Sie schließt die Augen, aber ist nicht müde, öffnet sie wieder, betrachtet ihre Kleiderstange, starrt Löcher in die Stoffe, das Ganze strengt sie zu sehr an. Wenn sie nur wüsste, was sie anziehen soll. Sie scannt die einzelnen Kleidungsstücke und starrt aus dem Fenster. Der blaue Himmel gibt ein leises Versprechen. Draußen in der Sonne würde es ihr bestimmt besser gehen. Die Wohnung ist schuld daran, dass es ihr so schlecht geht.
Sie kramt sich aus den Decken, und plötzlich muss alles schnell gehen. Sie muss hier raus. Sie muss an die frische Luft, sie muss Fahrrad fahren, sie muss was Grünes sehen, sie kriegt keine Luft. Sie greift nach einem schwarzen ärmellosen Shirt, das achtlos auf dem Boden liegt. Streift es sich über, sucht nach einem passenden Rock, durchforstet die Bügel, sucht nach Verstecken unter ordentlich aufgehängten Blusen und Jacken. Sprintet zu ihrer Waschmaschine, ein warmer süß-saurer, unangenehmer Geruch strömt ihr entgegen. Sie zögert kurz, aber ihr fehlt die Alternative. Sie greift in die Waschmaschine und kramt die dreckige Wäsche mit beiden Händen hervor. Zerknautscht kommt der schwarze Rock, den sie gesucht hat, zum Vorschein. Sie hält ihn sich kurz unter die Nase, schüttelt sich, steht auf, steigt über den liegen gebliebenen Wäschehaufen und läuft mit dem Rock in der Hand auf ihren Balkon, um ihn auszuschütteln. Der Geruch bleibt. Sie sieht auf die Straße und spürt die Distanz zu den Menschen. Sie will auch einer von ihnen sein. Sie zieht den muffigen Rock an, der Geruch wird sich schon verziehen, wenn sie erst einmal draußen und in Bewegung ist. Sie eilt zurück ins Schlafzimmer, um nach einer sauberen Unterhose zu suchen, findet aber keine. Hoffnungslos lässt sie sich aufs Bett sinken. Sie hat ja auch kein Geld. Ihr fällt Nicks Tasche ein, sie wühlt durch seinen Kram. In einer Seitentasche findet sie in einem Umschlag einen Fünfzig-Euro-Schein. Sie zögert nicht, greift sich das Geld und legt den leeren Umschlag wieder ordentlich zurück in die Tasche. Sie kann es ihm ja irgendwann zurückgeben.
Mit dem Fahrrad fährt sie die Linienstraße runter, die Sonne blendet, und sie ärgert sich, ihre Sonnenbrille vergessen zu haben. Sie kneift die Augen zusammen, hat Angst vor wiederkehrenden Kopfschmerzen und Falten. Im Tiergarten setzt sie sich auf eine Bank, kramt nach einer Zigarette. Die Sonne steht direkt über ihr, in gleißender Reglosigkeit scheint sie am Himmel zu stehen, keine Wolke. Tessa beginnt zu schwitzen. Ihr wird schlecht von der Hitze und der anstrengenden Fahrradfahrt. Vielleicht sollte sie ins Kino gehen, dort ist es immer angenehm kühl. Die Kippe zwischen die Zähne geklemmt, fährt sie zum Potsdamer Platz. Touristen in kurzen Hosen lassen sie zusammenzucken, sie meidet den Blick in die Gesichter. Im Foyer des Sonycenter-Kinos ist es leer, sie checkt die Vorstellungen. Hinter dem Kassenpersonal hängen große Leuchtwände, und in roter digitaler Schrift stehen Titel und Uhrzeiten. Die Namen der Filme sagen ihr nichts, sie hätte sich draußen die Filmplakate ansehen sollen. Jetzt ist es zu spät. Sie bleibt lieber, wo sie ist, und entscheidet sich für einen Film mit Liebe im Titel. Mit dem geborgten Fünfzig-Euro-Schein kauft sie das Ticket und sucht ihren Saal. Das Licht ist schon aus, die Werbung läuft. Sie guckt auf ihre Platznummer, und als
Weitere Kostenlose Bücher