Tessa
langwierig. Lieber zu Nick, ein wenig Wärme suchen, er kann nicht böse sein. Sie schleicht ins Wohnzimmer. Erschrocken schaut sie sich um, denn er ist nicht da.
Sie flüstert: »Nick?«
Kein Mucks. Sie dreht sich im Kreis, läuft in die Küche, sie ruft lauter: »Nick?«
Ungläubig rennt sie durch die Räume, aber er ist wirklich nicht da. Sie geht erst einmal in die Küche, sie braucht jetzt etwas zu trinken. Auf dem Küchentresen steht eine angefangene Flasche Rotwein, vorsichtshalber schaut sie auch noch in der Kühltruhe nach. Ja. Eine angefangene Flasche Wodka Moskovskaya lässt ihr Herz höher schlagen. Sie nimmt beide Flaschen, ein Weinglas und geht ins Wohnzimmer und fängt an mit dem Zappen, eine Jackie-Kennedy-Reportage hält sie gebannt. Trinken ist da, aber wo hat er seine Zigaretten? Sie macht sich wieder auf die Suche durch die Räume, aber Enttäuschung breitet sich aus, als sie wieder im Wohnzimmer steht. Ihr fällt seine Kleingeldtruhe im Flur ein. Sie sucht sich die Zehn- und Zwanzig-Cent-Stücke heraus. Mit genug Kleingeld geht sie noch einmal ins Wohnzimmer, um einen Schluck Rotwein zu trinken. Sie schaut auf das atemberaubende Kleid der First Lady, hofft inständig, dass es sich um eine dreistündige Reportage handelt, und rennt zum Schlafzimmer, um sich ihre Schuhe anzuziehen. An der Tür hält sie inne, sie hat keinen Schlüssel. Sie zögert, aber entscheidet dann, dass um die Uhrzeit keiner am Ausrauben genau dieser Wohnung interessiert ist und lässt die Wohnungstür sperrangelweit offen. Schnell rennt sie die Treppen runter und klickt die schwere Haustür in Wartebereitschaft ein. Der Kiosk ist in Sichtweite, sie muss nur die Straße überqueren. Als sie ohne zu gucken über die Straße rennt, wird sie fast überfahren, ein lautes Hupen folgt, sie streckt dem Auto ihren Mittelfinger hinterher. Der weiße Mercedes bremst ab, sie steckt ihre Hand schnell wieder in die Tasche und blickt auf die Erde. Unendliche Erleichterung überkommt sie, als sie den Mercedes wieder anfahren hört. Stattdessen fängt er an zu hupen, bis er außer Reichweite ist.
Das Geschäft ist vollgestellt mit Getränkekisten, in einem selbst gebastelten Holzregal hinter der alten grauen Registrierkasse stehen die verschiedenen Zigarettenmarken. Sie verlangt eine Schachtel rote Gauloises. Schmeißt ihr Kleingeld auf die dafür vorgesehene Fläche und will wieder rausgehen.
»Warten, warten.« Der asiatische Verkäufer zählt schlecht gelaunt das viele Kleingeld. »Hier fehlen was.«
Tessa dreht sich kurz um. Sie ist schon fast wieder an der Ladentür. »Nein, kann gar nicht sein«, erwidert sie grob. »Ich hab das Geld abgezählt. Und ich hab’s eilig.«
Sie will raus, fühlt sich dennoch schuldig. Sie geht zurück zur Ladentheke. »Was fehlt denn?«
»Fünfundzwanzig Cent.«
»Fünfundzwanzig Cent?«, fragt sie ihn. »Und? Das ist doch jetzt nicht die Welt, das kann ich morgen bezahlen.«
»Es fehlen jetzt fünfundzwanzig Cent. Nichts morgen bezahlen.«
»Was? Aber ich kaufe hier immer meine Zigaretten.« Glatt gelogen. Sanft fügt sie hinzu: »Ich verspreche es. Ich komme morgen früh wieder, das Erste, was ich machen werde, ist, in Ihren wunderbaren Laden zu kommen und Ihnen die fehlenden fünfundzwanzig Cent zu geben.«
»Nein, geht nicht, alle sagen morgen.«
»Ich unterschreibe dir was, okay?«
»Was soll ich mit Ihre Unterschrift anfangen? Nein.« Er schüttelt den Kopf, und sein glattes, pechschwarzes asiatisches Haar wackelt mit. »Entweder gleich alles bezahlen, oder Sie geben mir den Schachtel zurück.«
»Okay.« Tessa knallt ihre rote Schachtel Gauloises auf die Theke. »Dann gib mir eine andere Marke, die weniger kostet, aber starke, nicht zu softe, okay?« Sie schaut ihn drohend an.
Er nimmt die Packung und stellt sie sorgsam wieder zurück ins Regal, dann greift er unter die Theke und holt eine nie zuvor gesehene Schachtel Zigaretten hervor. Sie betrachtet sie argwöhnisch. »Die sind stark, ja?«
»Ja. Stakk, ja, stakk.« Er kramt aus seiner Kasse fünfunddreißig Cent hervor und will sie Tessa geben. Aber sie schüttelt den Kopf und läuft aus dem Laden. Wieder über die Straße, die Tür steht noch offen, rein, drei Stockwerke hoch, sie ist außer Atem, die Tür noch immer sperrangelweit offen. Gut. Gut gemacht, Pferdchen. Welcher Idiot hat das noch mal zu ihr gesagt?
Sie schlägt die Tür zu, rennt ins Wohnzimmer, lässt sich auf die Couch fallen, nimmt einen
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