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Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars

Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars

Titel: Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Wolf
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ein Job – und sei es zunächst nur irgendeiner, so lange sie noch nicht wusste, wie es beruflich weitergehen sollte. 
    Dass man sich im Tagesblatt eines Besseren besinnen und die Kündigung zurückziehen würde, war genauso wahrscheinlich wie die Erwartung, ganz zufällig mit Anne Will in einem Bett zu landen. Es war nicht besonders schlau gewesen, den schwelenden Ärger über ihren Chefredakteur in einem heftigen Streit zum Ausdruck zu bringen und sich nach der Betriebsfeier einen knackigen One-Night-Stand mit seiner Freundin zu gönnen, was ihm nicht verborgen geblieben war. Wenn sie ehrlich war, hatte das nicht ohne Folgen bleiben können. Andererseits haderte sie seit geraumer Zeit mit Job und Chef und war bislang nur zu bequem und zu feige gewesen, die Konsequenzen zu ziehen und nach beruflichen Alternativen zu suchen. Schließlich war sie gerade mal fünfunddreißig.
    Kerstin lebte mit ihren Kindern in einem schnuckeligen Häuschen mit Garten, das sie sich nach der Trennung von ihrem Mann weiterhin hatte leisten können, weil ihre Eltern zur Finanzierung erheblich beigesteuert hatten und sie in einem gut gehenden Zahntechniklabor überdurchschnittlich verdiente. Patrick hatte den Kindern einen Fonds für deren Ausbildung hinterlassen und schon vor Jahren eine üppige Lebensversicherung abgeschlossen. Geldsorgen hatte sie glücklicherweise keine. Wenigstens etwas.
    Tessy schob ihr Fahrrad in den Garten und ging ums Haus herum. Kerstin saß auf der Terrasse. Ihre sonst beim kleinsten Sonnenstrahl aufblitzenden Sommersprossen waren in dem bleichen Gesicht kaum auszumachen. Tessy drückte ihr einen Begrüßungskuss auf die Wange und ließ sich in den zweiten Stuhl fallen. Auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen stand das obligatorische Kaffeegeschirr, außerdem Saft und Wasser. Tessy bediente sich unaufgefordert.
    „Die Kinder sind bei einer Theateraufführung in der Schule“, erklärte Kerstin. „Ich konnte sie dazu überreden.“
    „Gute Idee“, kommentierte Tessy. „Was wolltest du mir am Telefon nicht sagen?“, schob sie kurz darauf hinterher.
    „Ich war vorhin noch mal bei der Kripo und habe mit dem Hanter gesprochen.“
    „Und? Gibt es was Neues?“
    Kerstin räusperte sich. „Wie man es nimmt … Sie werden das Ermittlungsverfahren einstellen.“
    Damit war zu rechnen gewesen, dachte Tessy.
    „Einstellen müssen“, fuhr Kerstin fort. „Es gibt nach wie vor keinerlei Anzeichen für ein Verbrechen oder Spuren von Fremdeinwirkung. Dafür steht inzwischen endgültig fest, dass Patrick soviel Schlaftabletten geschluckt hatte, dass sie von einem Suizid ausgehen. Man nimmt ja nicht aus Versehen soviel Tabletten, meint Hanter.“
    „Ja, schon, aber …“
    Kerstin winkte ab. „Der Gerichtsmediziner meint, dass die Menge Schlaftabletten, die Patrick intus hatte, durchaus unmittelbar zum Tod führen kann, aber nicht zwingend muss. Es gibt Leute, die eine solche Dosis überleben beziehungsweise sich sogar selbst hochrappeln. Er hält es demnach für möglich, dass Patrick in der Wohnung umherirrte und schließlich auf dem Balkon landete. Unter Umständen ist er dort gestolpert und dann unglücklich über die Brüstung gestürzt. Eine andere Variante wird allerdings für wesentlich wahrscheinlicher gehalten: Er hat sich hinabgestürzt, weil ihm klar wurde, dass die Tabletten nicht für einen Suizid reichten.“
    Tessy atmete tief durch. „Patrick hat also nach Ansicht der Polizei beschlossen, seinem Leben ein Ende zu bereiten, weil man ihn der Untreue überführt hatte? Beweis: geklaute Firmenunterlagen und gelöschte Daten.“
    „Genau. Sie gehen nach verschiedenen Gesprächen jetzt sogar von erheblichen firmeninternen Konflikten aus, die ganz und gar nicht ausgeräumt waren – oder nur auf den ersten Blick. Es spricht sehr viel dafür, dass Patrick, als klar war, dass Maren Wildorn den begehrten Job bekommt, seinen Abschied bei BORMAN gut vorbereitet und Material beiseite geschafft hat. Dabei waren die Akten, die man bei ihm fand, unter Umständen nur die Spitze des Eisberges und wichtiges Datenmaterial befand sich auf dem PC“, erläuterte sie in zunehmend leiserem Tonfall. „Scheiße“, flüsterte sie plötzlich. „Patrick. Das soll mein Patrick gewesen sein? Glaubst du, dass er zu solchen Dingen fähig war?“
    Nein, das glaubte Tessy nicht. Aber für die Polizei sah es ganz danach aus, als ob die anfänglichen Verdachtsmomente inzwischen durch eindeutige Beweise untermauert worden

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