Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars
Büroorganisation einiges schief ginge.“ Das war etwas dick aufgetragen, verfehlte aber die beabsichtigte Wirkung nicht.
Sänder verzog den Mund zu einem halb stolzen, halb verlegenen Lächeln. „Na ja, ganz so ist es ja auch wieder nicht, aber …“
„Sie wissen einfach, wie der Hase läuft“, ergänzte Tessy. „Das kann man doch mit Fug und Recht behaupten, oder? Darum wende ich mich ja auch an Sie.“
„Hm.“
„Sie wissen, was mit Patrick Riemer passiert ist?“
Wiesel Sänder zerknüllte die Serviette. „Na klar – dazu bin ich aber schon von der Polizei befragt worden.“ Er stutzte. „Sind Sie von der Polizei?“
„Nein. Ich ermittle privat. Außerdem bin ich eine Freundin der Familie.“
„Ach so.“ Das klang wenig begeistert, aber auch nicht nach sofortiger Fluchtbereitschaft.
„Erzählen Sie doch mal, was der Patrick für ein Typ war – ganz aus Ihrer Sicht. Sie kriegen doch eine Menge mit, gerade im zwischenmenschlichen Bereich.“
Wiesel legte kurz den Kopf zur Seite. „Patrick war okay. Immer fair. Hat ‚bitte’ und ‚danke’ gesagt und nicht den Chef raushängen lassen.“ Er trank einen Schluck. „Hat sich zuviel zu Herzen genommen. Kein Wunder, dass er irgendwann mit dem Saufen angefangen hat.“ Sänder zwinkerte und schien abzuwägen, ob es richtig war, aus dem Nähkästchen zu plaudern.
„Frau Riemer ist sehr bestürzt, wie Sie sich vorstellen können“, schob Tessy in leutseligem Ton hinterher. „Sie hält es für ausgeschlossen, dass Patrick Hand an sich selbst gelegt haben soll. Was meinen Sie dazu?“
„Ich weiß nicht – ich finde es auch merkwürdig, weil er gerade in letzter Zeit so … gelöst und optimistisch wirkte“, erwiderte Sänder nachdenklich. „Aber man steckt ja nicht drin. Ich hab schon von Leuten gehört, die eben noch schallend über einen Witz gelacht und sich eine halbe Stunde später vom zehnten Stock in die Tiefe gestürzt haben. Soll schon vorgekommen sein.“ Er nickte eifrig.
Ja, es soll auch vorkommen, dass Pferde kotzen – vor der Apotheke. Tessy verbiss sich einen Kommentar und nickte mit ernster Miene zurück.
„Da stimme ich Ihnen zu. Was meinen Sie denn, wie er es angestellt haben könnte, die Firmenunterlagen mitgehen zu lassen, die die Polizei bei ihm zu Hause fand?“
Sänder drehte den Saftbecher zwischen seinen Händen. „Na ganz einfach – er hat sie mitgenommen.“
„Ach?“
„Ja – wir haben natürlich einen Sicherheitsdienst, der hin und wieder die Taschen und Aktenkoffer überprüft, und nicht jeder kann einfach irgendwelche Akten mit nach Hause schleppen. Aber Patrick hatte immerhin Prokura und konnte natürlich Unterlagen mitnehmen.“
„Aber er hatte ja bei BORMAN aufgehört und den Kram nicht wieder abgeliefert“, wandte Tessy ein.
„Stimmt – das war nicht sehr schlau.“
„Wissen Sie, um welche …?“
Wiesel schüttelte den Kopf und rückte zwei, drei Zentimeter von Tessy ab. „Keine Ahnung. Das wissen nur die Chefin und die anderen aus der Führungsetage, und die wollen natürlich verhindern, dass sich das herumspricht. Verständlich, oder?“
„Nehmen wir mal an, Sie wollten herausbekommen, welche Unterlagen Patrick an sich genommen hatte – wäre das ein Problem für Sie?“
Wiesel kratzte sich am Hinterkopf. „Also, ich glaub’ nicht, dass ich dazu was sagen möchte. Das sind Firmeninterna, über die ich gar nicht …“
„Und wenn Sie dazu beitragen könnten, die Hintergründe von Patrick Riemers Tod aufzuklären?“
„Aber die Polizei hat doch …“
„Die Polizei kann immer nur so lange ermitteln, wie sie etwas in der Hand hat.“
„Aber ich darf …“
„Ich versichere Ihnen, dass niemand erfährt, woher ich meine Informationen habe.“
„Ich kenne Sie doch gar nicht.“
„Das stimmt. Ich kenne Sie auch nicht. Aber wir kennen beide Patrick, und ich denke, Sie sind auch daran interessiert, dass alle Umstände seines Todes genau untersucht werden. Ich befürchte nämlich, dass es einige offene Fragen gibt, die bislang von offizieller Seite nur noch nicht gestellt worden sind.“
Wiesels Füße begannen zu wippen. Er presste die Hände zusammen und klemmte sie zwischen seine Knie. „Verstehen Sie doch … Ich bin nicht mehr der Jüngste, und wenn die Chefin erfährt …“
„Erfährt Sie nicht!“, beharrte Tessy. Ihr Herzschlag hatte sich beschleunigt.
„Sie konnte ihn nicht ausstehen“, sagte Sänder plötzlich sehr leise. „Noch nie. Und was
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