Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars
die Augenbrauen zusammen, als sie ihre Mutter erkannte. Ich hasse es, wenn man sich in mein Leben mischt, dachte sie.
Kapitel 10
„Und nun erzähl mal – was ist so los in deinem Leben?“, fragte Stefanie Ritter, als Tessy nach knapper Begrüßung und ebensolcher Danksagung für die spontane Hilfe das Rad verladen hatte und eingestiegen war. „Ich höre ja gar nichts mehr von dir. Und Kerstin meinte, ich sollte dich selbst fragen.“
Tessy atmete tief durch. „Ich habe mich entschlossen, nicht mehr als Journalistin zu arbeiten.“
„Ach so. Und was willst du stattdessen machen?“
„Ich bin Privatermittlerin.“
Stefanie machte den Mund auf und wieder zu. Dann gab sie Gas und konzentrierte sie sich eine ganze Weile auf den Verkehr.
„Und einen Auftrag hast du auch schon?“, fragte sie schließlich.
Tessy nickte. „Ich recherchiere die Hintergründe zu Patricks Tod.“
„Ach so“, meinte ihre Mutter erneut in einem ähnlich dumpfen Tonfall. „Jetzt verstehe ich die seltsamen Andeutungen von Kerstin. Interessant.“ Sie war sichtlich um Fassung bemüht. „Ist das nicht ein bisschen gefährlich?“
„Es unterscheidet sich bislang nicht großartig von meiner bisherigen Arbeit“, erwiderte Tessy und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nachdenken, Fragen stellen, Leute nerven und so weiter.“
„Ach so.“
Das war jetzt das dritte Mal, zählte Tessy den wortkargen Kommentar mit.
Ihre Mutter nickte langsam, während sie in den Tilkeroder Weg einbog und vor Edgars Haus anhielt. „Na gut, du weißt hoffentlich, was du tust.“ Sie lächelte. „Ich würde glatt noch einen Tee bei dir trinken, aber ich muss mich beeilen. Mein nächster Kurs beginnt in Kürze.“
„Schon okay.“ Tessy stieg aus. „Noch mal: danke fürs Fahren.“
Stefanie Ritter setzte wieder ihre altbekannte Strahlemiene auf. „Keine Ursache. Das Sport-Angebot in Verbindung mit gemeinsamem Kochen und Essen hat übrigens wirklich eingeschlagen.“
Tessy lächelte höflich. „Wie schön.“ Wahrscheinlich gab es nach dem schweißtreibenden Training für jede Teilnehmerin drei gedünstete Möhren auf Blattsalat an Magerquarksoße mit Dill. Zum Nachtisch eine halbe harte Birne, die man zwei Stunden lang kauen musste, um sie überhaupt schlucken zu können. Die reinste Völlerei. Apropos Essen: Tessy spürte plötzlich einen Bärenhunger und ging in die Küche, um Nudeln zu kochen. Die briet sie in Butter mit Schinken und Ei in der Pfanne: mindestens tausend herrliche genussreiche Kalorien.
Später reparierte sie den Reifen. Der Schlauch wies einen langen geraden Schnitt auf, was zumindest den Vorteil mit sich brachte, dass er leicht zu flicken war. Tessy sah auf die Uhr – halb sechs. Das Handy lag auf dem Gartentisch. Mit wenigen Handgriffen hatte sie in ihrer Anruferliste Dirk Hanter gefunden und betätigte den Rufknopf.
„Was gibt’s?“
„Dir auch einen schönen Tag“, entgegnete Tessy. „Bist du unterwegs?“
„Nö. Warum?“
„Alleine oder in Begleitung deines honigblonden Engels?“
Am anderen Ende war ein Kratzen zu vernehmen. Mit etwas gutem Willen konnte man es für ein raues Auflachen halten.
„Worum geht’s, Tessy?“
„Ich muss was mit dir besprechen. Im Fall Patrick Riemer.“
Hanter seufzte. „Da gibt’s nichts mehr zu besprechen.“
„Nicht so voreilig, Herr Kommissar.“
Tiefer Seufzer.
„Gar kein Interesse?“, hakte Tessy nach.
„Na schön. Ich mache gleich Feierabend und hole mir noch eine Currywurst an der Gallwitzbude.“
Tessy schüttelte sich. „An der, wo das Fett schon drei Meilen gegen den Wind zu riechen ist?“
„Genau da. Wenn du dir also noch mal von Angesicht zu Angesicht sagen lassen möchtest, dass es in besagtem Fall nichts mehr zu bereden gibt oder sonst wie Sehnsucht nach mir hast, dann …“
„Schon verstanden.“ Sonst wie Sehnsucht … Hm.
Tessy kappte die Verbindung, verstaute Notizblock, Handy, Stift und Brieftasche in einer Gürteltasche, die sich um den Bauch schlang, und schnappte sich das Rad. Als sie vom Tilkeroder auf den Diedersdorfer Weg einbog, war plötzlich ein dunkelgrauer PS-starker Audi hinter ihr. Sie fuhr betont weit rechts, aber der Wagen überholte nicht, sondern blieb dicht hinter ihr und scherte erst zwei-, dreihundert Meter später nach rechts in die Einfahrt zum Freizeitgelände Marienfelder Höhe aus.
Die Imbissbude stand direkt an der Straße. Der Gestank war unerträglich, aber Dirk Hanter schlang Wurst und
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