Testament liegt im Handschuhfach: Unterwegs mit der Mitfahrzentrale (German Edition)
möchte sie den deutschen Mann sehen, der eine komplett verschleierte Frau angafft. Die Typen stehen doch eher drauf, wenn die Frauen so viel nackte Haut und Rundungen wie möglich zeigen.
Veronique fragt sich, ob Lisas Ehemann ihr verboten hat, andere Männer mitzunehmen. Aber sie traut sich nicht zu fragen. Das muss sie auch nicht, sagt sie sich. Denn selbst wenn ihr Mann das vorgeschrieben hätte, würde Lisa das hier nie zugeben. Dafür ist sie zu intelligent. Sie weiß ganz genau, dass die Beifahrerin und Veronique dann an die Decke gehen würden. »Wie reagieren denn deine Freunde und Nachbarn darauf, dass du jetzt mit Burka durch die Gegend läufst?«, fragt Veronique stattdessen. Für einen Moment schweigt Lisa, das Thema ist nicht leicht für sie. »Die Freunde haben es gleich akzeptiert«, sagt sie dann langsam. »Aber in meinem Dorf schauen mich die Leute schon sehr komisch an.« Sie stammt aus einem kleinen Kaff bei Dresden, in dem jeder jeden kennt. Ein Mädel aus dem Dorf, das von einem Tag auf den anderen komplett verschleiert rumläuft – kein Wunder, dass die Leute einen dann schief anschauen und sich das Maul zerreißen.
An der Uni hingegen wird sie von den Dozenten mit viel mehr Respekt behandelt, erzählt Lisa. Das macht sie stolz. Sie studiert Deutsch als Fremdsprache, weil sie Verwandten und Freunden ihres Mannes aus Saudi-Arabien die Sprache beibringen will. Aber ihr eigentlicher Traum ist es, Menschen in Schwarzafrika zum Islam zu bekehren. Gerade in Kenia oder dem Kongo seien Muslime stark in der Minderheit. Das will Lisa ändern. »Der Islam ist das einzig Wahre für mich«, sagt sie feierlich. »Das sollen auch die Menschen in Afrika erfahren.«
Es ist still geworden im beigen Opel. Lisa hat sich in einen regelrechten Missionierungsrausch geredet. Veronique und die Beifahrerin haben keine Lust, dass Lisa sie jetzt auch noch zum Islam bekehren will. Das soll sie mal schön bleiben lassen, also wird geschwiegen. Veronique versucht zu schlafen. Plötzlich tippt die dunkelhäutige Sitznachbarin sie an. »Do you believe in Jesus?« Entgeistert starrt Veronique die Frau an. Das kann doch nicht wahr sein! Jetzt fängt die auch noch an. Kaum hat die eine aufgehört, legt die andere los.
Die Afrikanerin fragt, ob Veronique denn bete. Genervt antwortet Veronique. »No.« Die dunkelhäutige Frau, die Veronique auf Mitte 20 schätzt, macht große Augen. Dann versucht sie es in einer subtileren Weise. Es reiche ja schon, wenn man Gott erzähle, wie es einem geht und was für Sorgen man habe. So wie einem guten Freund. Dann erzählt sie weiter von Jesus. Diese christliche Missionarin ist streng gläubig und sehr überzeugt von ihrer Religion. Ein paar Minuten hört sich Veronique das an, dann gibt sie der Afrikanerin zu verstehen, dass sie keinen Bock mehr auf ein weiteres Gespräch über Religion hat. »Please stop it, I’m not interested.« Die Diskussion über den Islam hat ihr vollkommen gereicht, da kann sie nicht auch noch eine Missionierung zum Christentum gebrauchen.
Veronique dreht sich zur anderen Seite und schließt die Augen. Aber einschlafen kann sie nicht, sondern muss grinsen. Wie abgefahren ist das denn? Überall in Deutschland treten die Menschen in Scharen aus der Kirche aus. Kaum ein junger Mensch hat mehr was mit Religion am Hut – und dann gerät sie in ein Auto, in dem gleich zwei junge Missionare sitzen, die einen noch dazu zu zwei verschiedenen Weltreligionen bekehren wollen. Und das Schrägste ist: Die wussten gar nichts voneinander, sondern sind durch die Mitfahrzentrale zufällig ins selbe Auto geraten.
»Willst du da wirklich mitfahren?« Skeptisch schaut Norbert seine Freundin Lena an. Zehn Meter von ihnen entfernt steht ein alter, klappriger VW-Passat, der aussieht, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen. Auf dem Dach sind vier lange Kajaks montiert. Ein Typ mit schulterlangen, wehenden blonden Haaren steigt aus dem Gefährt. Barfuß. Sein Hemd trägt er offen, darunter: braun gebrannte Brust und Holzperlenkette. Ganz klarer Fall: ein Surfer.
Lena wird unsicher. Mit so einer Klapperkiste können die 300 Kilometer bis München verdammt lang werden. Was ist, wenn die Karre unterwegs einfach ihren Geist aufgibt? Dann kommt sie heute nicht mehr nach Hause. »Ist das nicht ein bisschen viel für das alte Auto?« Vorsichtig deutet Lena auf die Boote. »Hey … entspann Dich …«, antwortet der blonde Surfer extrem langsam. Er wirkt irgendwie dauerbekifft. »Ich
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