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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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Radloff, eines Hydrogeologen, und wählte sie. Aber statt des üblichen Tutens ertönten im Hörer esoterische Sphärenklänge.
    »Ihr Guthaben ist abgelaufen«, flötete eine weibliche Stimme. »Bitte laden Sie Ihre Karte auf. Den Automaten finden Sie in der Eingangshalle.«
    »Dies ist ein Notfall«, rief Xaver in die Sphärenklänge hinein, »stellen Sie mich durch.«
    »Ihr Guthaben ist abgelaufen«, wiederholte die Stimme. »Bitte laden Sie Ihre Karte auf. Den Automaten finden Sie in der Eingangshalle.«
    Xaver ließ den Hörer sinken und schlug ihn ein paarmal in seine offene Handfläche. Dann zog er die Karte aus dem Telefon, schnappte sein Portemonnaie, das zwischen dem ausgekippten Kram auf dem Fußboden lag, und rannte wieder zur Fahrstuhltür. Dort hatten sich inzwischen zwei Pfleger von der B postiert.
    »Sie dürfen die Station nicht verlassen«, sagten sie.
    »Ich muss unten meine Telefonkarte aufladen«, keuchte Xaver.
    »Das geht jetzt nicht.«
    »Aber ich muss meinen Kollegen erreichen, für die Expertise!«
    »Besprechen Sie das mit den Ärzten.«
    Xaver drehte sich um und rannte zurück auf den Flur der 5A, zum Dienstzimmer, aber die Tür war geschlossen.
    »Bitte nicht stören – Übergabe«, stand auf dem Schild, das am Türgriff hing. Durchs Fenster sah Xaver die Thewes und Pfleger Carsten, die mit Neef und Schwester Nina die Unterlagen der Patienten durchgingen. Xaver klopfte an die Scheibe.
    »Ich muss telefonieren«, rief er.
    Die Oberärztin stand auf und öffnete die Tür einen Spalt breit.
    »Wir haben Übergabe.«
    »Aber es geht um unser Leben!«
    »Später, Herr Walpersdorf.« Die Thewes schloss die Tür.
    »Sie müssen mich anhören, jetzt!« Xaver boxte gegen die Scheibe, aber die Leute im Dienstzimmer reagierten mit Maßregelungsschweigen, sahen nicht hin und führten ihre Besprechung fort.
    »Ich will Sie doch alle retten«, brüllte Xaver und rannte durch den Flur, zurück zu den Fahrstühlen, wo noch immer die beiden Pfleger standen und wo die Alte mit der Gitarre saß, und plötzlich wusste er, was zu tun war. Er riss ihr die Gitarre aus der Hand und stürmte zurück zum Dienstzimmer und schlug mit der Gitarre auf die Scheibe ein, während die Alte hinter ihm schrie: »Meine Gitarre! Meine Gitarre!« Aber er schlug, bis das Holz zersplitterte und Glasbrocken aus der Scheibe rieselten und bis er sich in einem Gewirr aus weißbekleideten Armen wiederfand, die ihn packten und festhielten. Irgendwo wimmerte die Alte, der Alarm trötete durch den Flur, aus dem Gewirr wuchsen immer mehr Arme und trugen Xaver fort, durch den Flur, durch den Aufenthaltsraum, durch die Panzerglastür auf die B, und schnallten ihn auf ein Bett und schoben ihn ins Isolierzimmer, wo er schrie, bis Neef mit der Spritze kam. Zwei Pfleger hielten Xavers gefesselten Arm zusätzlich fest, damit der Arzt seine Vene traf, und während ihm alles egal wurde, lallte er noch: »Die Aseität, die Aseität.«
    Er sah den mageren Arsch von Annika, der in einer schlotterigen rosa Samthose steckte. Annika schaute aus dem Fenster, vielmehr auf die blickdichte Milchglasscheibe. Der Raum war reizarm, die Wände weiß und ohne Bilder, oben hatte der Lack ein paar schlecht entfernte Flecken; offenbar hatte jemand sein Essen gegen die Wand geworfen. Es gab keinen Schrank, nicht einmal Tisch und Stuhl.
    Annika bewegte sich nicht, in der großen Hose sah ihr Arsch verloren aus. Xaver fand noch immer, dass er zu klein war, nicht auratisch wie der von Sylvia; es war ein Arsch, der nichts von seinem Dasein ahnte. Xaver kam eine Gedichtzeile von Pablo Neruda in den Sinn: »Liest der Falter im Flug, was auf seinen Flügeln geschrieben steht?« Annikas Arsch hatte etwas von diesen Schmetterlingsflügeln. Und plötzlich wusste Xaver, dass die junge Frau verletzt worden war und dass sie nur gesund werden konnte, wenn jemand die Schrift auf ihren Flügeln las.
    »Das Pechkohlengeheimnis«, flüsterte er.
    Annika drehte sich um. »Hallo. Geht es dir besser?«
    Xaver ruckte an seinen Fesseln. Er konnte die Hände in den Schlaufen kaum bewegen. Er sah an sich herab. Bauch und Brust waren angeschnallt, und die gefesselten Beine waren gespreizt, als hätte man ihn auf ein Andreaskreuz gebunden. Auf den weißen Bauchgurt war ein rotes Wort aufgestickt, in einer heiteren Schreibschrift. »Segufix« entzifferte Xaver.
    »Kannst du mich losmachen?«
    »Die Gurte lassen sich nur mit einem Magneten öffnen«, sagte Annika. »Ich lag auch schon

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