Teufelsberg: Roman (German Edition)
singend über den Flur. Bald war auch sie still.
Sein helles Licht bei der Nacht
Z uerst sah es so aus, als würde die Frau mit dem Astronautenhelm in einer Fleischerei stehen; zerdellte, rötlich marmorierte Leiber glänzten im Halbdunkel. Aber es waren keine enthäuteten Tiere an Fleischerhaken, sondern die Wände eines Zechenstollens, welche die Frau umgaben. Sie hatte sich in eine Ausbuchtung gestellt, und vor ihr dichtete eine Plexiglasscheibe die Ausbuchtung zu einer Art Terrarium ab. Außer dem Astronauten helm trug die Frau nur einen knappen Bikini. Sie presste die Lippen zusammen und hielt mit ihnen den Schwanz einer Maus fest.
»Alles okay, Jacqueline?«, fragte eine männliche Stimme.
Jacqueline brummte durch die Nase, die Maus zappelte und kratzte mit den Vorderpfoten an Jacquelines Schlüsselbein. Die hob das Kinn, bis die Maus wieder ganz in der Luft hing.
»Wir lassen jetzt den Lehmschlamm ein. Bist du bereit?«
Jacqueline nickte, die Maus zappelte, die Männerstimme lachte.
»Zehn Minuten. Für jede Minute gibt es einen Punkt. Wenn du die Maus loslässt, wird dir ein Punkt abgezogen. Du darfst sie aber mit dem Mund wieder einfangen. Wenn du die Prüfung abbrichst, verlierst du alle Punkte. Alles klar?«
Diesmal nickte Jacqueline nicht, sondern klapperte nur mit den Augenlidern. Es gab ein gurgelndes Geräusch, und in das Felsenterrarium drang grauer Schlamm, der rasch Jacquelines Knie erreichte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Der Schlamm stieg weiter, bis zur Hüfte und zum Hals. Am Ende sah nur der Kopf im Astronautenhelm oben raus.
»Dir steht es bis hier, was«, feixte die Männerstimme. »Eine Minute ist um. Du hast einen Punkt.«
Die Maus hatte sich umgedreht und versuchte, mit den Pfoten Jacquelines lange, gebleichte Haare zu erreichen.
»Boah, ist das eklig«, japste Jacqueline.
Die Maus fiel ins Visier des Helmes.
»Du hast einen Punkt verloren«, sagte die Männerstimme. »Konzentriere dich. Hol dir die Maus.«
Jacqueline schnappte mit dem Mund nach dem Tier, das mit bebender Nase das Visier absuchte. Sie bekam das Hinterbein mit den Zähnen zu fassen.
»Noch acht Minuten«, sagte die Männerstimme. »Aber immer schön daran denken: Du bist zweihundert Meter unter der Erde, verschüttet, in Lehm gegossen und mutterseelenallein.«
Jacqueline riss den Mund auf, die Maus fiel wieder in den Helm, verschwand für eine Weile hinter Jacquelines Kopf und tauchte bald im Visier wieder auf.
»Also ich pack das nicht«, rief Jacqueline. »Holt mich hier raus.«
»Du weißt, dass du die Bergwerksprüfung nur mit einem ganz bestimmten Satz beenden kannst«, sagte die Männerstimme.
»Igitt, das Vieh will mich beißen!«, quiekte Jacqueline.
»Der Spru-huch …!«
Die Maus stellte sich auf, stemmte die Vorderpfoten in die Wölbung des Visiers, rutschte ab und versuchte es wieder. Jacquelines Gesicht war schmutzverschmiert.
»Ich glaube, die Maus hat dich angeschissen!«, flötete die Männerstimme.
Jacqueline kreischte.
Die Männerstimme wieherte. »Ich warte auf den Spru-huch! Das Sprüchilein! Komm, sag es mir, mein Schnuckilein!«
Jacqueline begann zu weinen. Man hörte nur ihr Schluchzen und die unheilvolle Melodie, die jetzt einsetzte, alle paar Takte ertönte der Gong einer Totenglocke. Jacqueline schloss die Augen, dann keuchte sie: »Ich bin ein Promi, Glückauf, Glückauf!«
Augenblicklich setzte der Titelsong ein, die Glasscheibe vor dem lehmgefüllten Felsenterrarium fuhr zur Seite, Jacqueline rutschte, begleitet von einem Lehmschwall, zu Boden und kroch auf allen vieren in den Stollen zurück. Sie riss sich den Astronautenhelm vom Kopf. Die Maus verschwand mit einem Hüpfer aus dem Bild.
Schnitt.
Über der Erde, am Versorgungsschacht, neben dem Kran mit der Rettungskapsel, vor qualmender Industriekulisse, saß der Moderator in einem geblümten Ohrensessel. Er war klein und dürr, hatte ein rosa gefärbtes Ziegenbärtchen am Kinn und trug einen Bergarbeiter-Helm, der mit silbernen Pailletten beklebt war. Die Grubenlampe an der Stirn blinkte. Auf dem Helm saß ein Teddy aus türkisfarbenem Plüsch, der wiederum selbst einen Bergarbeiter-Helm voller Pailletten trug.
»Wollen Sie, dass unser süßes Schlagermäuschen Jacqueline Dingsbums trotz verpatzter Bergwerksprüfung in die nächste Runde kommt, dann wählen Sie die Endziffer nullvier«, sagte der Moderator. »Und in der morgigen Sendung zeigen wir, wie unsere verschütteten B-Promis mit der Dunkelheit
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