Teufelsmond
Karla, dass sich die junge Mutter über ihren Besuch freute. «Kommt herein, schnell herein.»
Sofie rückte den Säugling auf der Hüfte zurecht und stieg vor Karla eine schmale Stiege nach oben. «Wir gehen in meine Kammer, wenn es Euch recht ist.»
Karla nickte und wunderte sich über die Stille im Haus. Doch dann fiel ihr ein, dass der Vater ja gerade gestorben war. «Hält Eure Mutter die Totenwache?», fragte sie, als sie in Sofies Kammer waren. Die war so schmal, dass keine zwei Menschen nebeneinander stehen oder gehen konnten. Als Karla sich gerade an Sofie vorbeigeschoben und dabei ihre Hüfte berührt hatte, war Sofie mit einem kleinen Aufschrei zurückgefahren. «Entschuldigt», sagte Karla. «Die Kammer ist so eng.»
Sofie strich sich das Haar zurück. Sie trug keine Haube, wohl aber noch immer das Kind auf der Hüfte. In Karlas Weiler legten die verheirateten Frauen die Hauben erst zur Nacht ab, alles andere galt als unschicklich. Doch Sofies Hand zierte auch kein Ring. Nichts zeigte an, dass die junge Frau verheiratet war. Hat das alte Weiblein am Backhaus recht gehabt, als sie sagte, die junge Michelsmüllerin hätte ein Kind ohne Vater? Aber hätten ihre Verwandten, hätte der Vater sie nicht mit dem Bastard verstoßen? Karla konnte sich nicht vorstellen, dass jemand eine solche Schande im Haus duldete. Wäre sie schwanger gewesen, da war sie sich ganz sicher, hätte die Stiefmutter sie eigenhändig mit dem Ochsenziemer zum Weiler hinausgeprügelt.
«Das macht nichts, ist nicht Eure Schuld», erklärte Sofie und strich sich über die Stelle, an der Karla sie berührt hatte. «Ich reagiere sehr empfindlich auf die Berührungen anderer Menschen.» Sie lachte, aber es klang nicht fröhlich.
«Eure Mutter hält die Totenwache?», fragte Karla noch einmal.
«Nein. Das habe ich getan, bis Ihr kamt. Die Mutter muss sich um Jost kümmern. Das ist mein kleiner Bruder. Auch er krümmt sich vor Schmerzen, und es scheint, als habe er dieselbe Krankheit wie der Vater.» Sie sah Karla aus feuchten Augen an. «Wir befürchten das Schlimmste.»
Karla konnte nur nicken.
«Darf ich? Könnt Ihr sie einmal halten? Sie heißt Rosemarie.» Sofie drückte Karla den Säugling in den Arm.
«Wie alt ist sie?» Karla betrachtete das sabbernde Mündchen des Säuglings, die weichen, blassroten Wangen, die winzige Nase und die Augen, die blau wie ein Sommerhimmel waren. Sie drückte die winzige Rosemarie an sich und küsste sie auf den Scheitel. Warmer Säuglingsgeruch stieg in ihre Nase. Der Säugling krähte und fasste nach ihrem Haar. Seine blauen Augen funkelten vor Freude. Blaue Augen, dachte Karla. Blaue Augen in der Michelsmüllerfamilie, in der einer so dunkle Augen hatte wie der andere.
«Zwei Monate», erwiderte Sofie und kramte in einer Schublade. Karla sah sich unterdessen in der schmalen Kammer um.
Da stand ein Bett mit hohem dunklem Holzgiebel, darauf lagen zwei Kissen und ein dickes Federbett, das unter einer selbstgenähten Decke verborgen war. Gegenüber befand sich eine Kommode mit Schubladen. Darauf standen zwei Tiegel mit Salben, ein Wasserkrug und zwei Becher. Über dem Bett war ein Regal angebracht.
«Huch!» Karla erschrak so sehr, dass der Säugling zu wimmern begann. «Was ist das?» Karlas Blick hing wie angenäht an den hölzernen Figuren auf dem Regal. Sie erkannte den Glenbauern, den Mann von der dürren Bernadette und den Dorfschulzen. Die letzte Figur konnte sie nicht zuordnen. «Was ist das?», fragte sie noch einmal, da Sofie ihr nicht antwortete. Ohne dass Karla eine Erklärung dafür hatte, ängstigten sie die Figuren. Etwas Geheimnisvolles, Dunkles ging von ihnen aus. Sie wirkten auf Karla wie Dämonen mit den aufgesperrten Mündern, ihre geschnitzten Finger schienen nach ihr zu greifen.
«Das? Nichts weiter. Ich schnitze hin und wieder. Die Figuren habe ich gemacht, als ich schwanger war.»
«Aha!» Karla starrte auf die verzerrten Gesichtszüge des Glenbauern. Obwohl er wie ein Tier dargestellt war, hatte sie ihn doch erkannt. Doch sie konnte nicht lange hinschauen, so sehr gruselte es sie vor dem Schnitzwerk.
Sofie nahm Karla die Kleine ab und reichte ihr ein Leinenbeutelchen. «Da!», sagte sie. «Das sind ein paar getrocknete Samen des Pfaffenhütchens. Sie sind giftig. Seid vorsichtig damit.»
«Was soll ich damit?», wollte Karla wissen.
Sofie zuckte mit den Achseln. «Ihr habt mir Weihrauch gebracht. Dafür danke ich Euch sehr. Es ist schwierig, hier im Knüllwald
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