Teufelsstern
Matt zu bleiben.
An einer Bude kauften sie sich Brötchen und Kaffee und stiegen erst in letzter Minute in ihren Bus. Fast alle Plätze waren besetzt, sodass sie nicht nebeneinander sitzen konnten. Es machte Matt nichts aus. Wenn sie wach waren, konnten sie sich ohnehin nicht unterhalten.
Cuzco.
Das sagte ihm nichts. Wahrscheinlich war es ein Dorf oder eine Stadt… irgendwo in Peru. Er nahm an, dass Cuzco ziemlich weit weg war, denn die Fahrkarten hatten sie die Hälfte ihres Geldes gekostet. Als sie losfuhren und über den halb leeren Marktplatz rumpelten, sah Matt zu Pedro hinüber, der neben einem dicken, schwitzenden Mann auf seinem Fensterplatz eingezwängt war. Was dachte er wohl? Seit er Matt getroffen hatte, war sein Leben vollständig aus den Fugen geraten. Matt machte sich Sorgen um ihn. Pedro hatte nichts mehr gesagt, seit dieser Micos gestorben war. Als Peruaner war er sicherlich an Gewalt und plötzliche Todesfälle gewöhnt, aber in den letzten Tagen hatte er einfach zu viel Schlimmes erlebt.
Die Panamericana war unendlich lang und schnurgerade, sie teilte die Landschaft wie ein Messerschnitt. Während der ersten paar Stunden änderte sich die Aussicht kaum. Die Straßenränder waren mit Müll übersät – alte Reifen, Plastikfolien, Drahtknäuel und anderes Gerümpel, das anscheinend fest entschlossen war, sie jeden Meter des Weges zu begleiten. So etwas hatte Matt noch nie gesehen. Er kannte Müllkippen in England. Und in Ipswich hatte es einige heruntergekommene Gegenden gegeben. Aber die Armut in diesem Land schien kein Ende zu nehmen. Sie hatte sich ausgebreitet wie eine ansteckende Krankheit.
Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, und es war heiß im Bus. Matt sah sich die anderen Passagiere an: eine Mischung aus Stadtleuten, Bauern, Indios und Tieren. Die Frau neben ihm war in leuchtenden Farben gekleidet. Sie hatte einen knallroten Schal um den Hals und trug einen Schlapphut. Ihre Haut sah aus wie gegerbtes Leder. Sie konnte locker hundert Jahre alt sein. Sie musterte Matt neugierig, und er fragte sich, ob sie seine getönte Haut, die abgetragene Kleidung und den Haarschnitt durchschaut und den englischen Jungen darunter erkannt hatte. Hastig wendete er sich ab, weil er Angst hatte, dass sie ihn ansprechen würde.
Stunde um Stunde verging. Es war unmöglich zu sagen, wie lange sie schon unterwegs waren. Matt hatte Durst. Es kam ihm vor, als hätte er nur Staub und Dieselabgase im Mund. Er schloss die Augen und schlief sofort ein.
Wieder waren sie auf der Insel.
»Wir hätten nach Ayacucho fahren sollen«, sagte Pedro. »Ich weiß. Es tut mir Leid. Warum hast du dich für Cuzco entschieden?«
»Wegen dem Mann, der gestorben ist. Micos. Er hat sein Leben riskiert, weil er uns helfen wollte. Und als er in seinen letzten Atemzügen lag, hat er uns gesagt, dass wir nach Cuzco fahren sollen. So wichtig war das für ihn. Wenn wir nicht tun, was er gesagt hat, dann wird uns sein Geist das nie verzeihen.«
»Weißt du irgendwas über Cuzco?«, fragte Matt.
»Nicht viel. Sebastian war mal da, und es hat ihm nicht gefallen. Es ist weit weg… hoch oben in den Bergen. Sebastian hat mir erzählt, dass man da nicht richtig atmen kann, weil die Luft dort zu dünn ist. Es ist eine Touristengegend.« Pedro überlegte einen Moment. »Cuzco ist nicht weit entfernt von einem Ort, der Machu Picchu heißt. Da haben früher die Inka gelebt.«
»Und was ist mit dem Tempel von Coricancha?«
»Über den habe ich noch nie etwas gehört.«
Die beiden schwiegen eine Minute, aber in dieser merkwürdigen Welt konnte eine Minute auch eine Stunde oder ein Tag sein.
»Was glaubst du, wer er war?«, fragte Pedro. »Er hat uns nur gesagt, dass er Micos heißt. Und dieser Mann mit dem großen Kopf – war das wirklich Diego Salamanda?«
»Ja.« Matt schauderte.
»Jemand wie ihn habe ich noch nie gesehen. In Lima gibt es Leute ohne Arme oder Beine. So was sieht man dauernd. Aber er war ein echtes Monster. Und er ist böse. Das habe ich sofort gespürt. Als ich ihn gesehen habe, hätte ich mich am liebsten übergeben.«
»Das ging mir genauso.«
Matt warf einen Blick auf das Binsenboot mit dem Katzenkopf am Bug. Bald würden sie die Trauminsel verlassen müssen. Vor ihnen lag eine ganze Traumwelt, die es zu erforschen galt.
»Hör mal, Pedro«, begann er. »Ich habe über alles nachgedacht, was passiert ist. Es ging so schnell – der Überfall am Flughafen, dich zu treffen und alles andere –, dass ich noch
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