Teufelsstern
entdecken. Achten Sie besonders auf die Mauern, die ohne Zement errichtet wurden. Heute Nachmittag erhalten Sie die Gelegenheit, sich diese Bauweise genauer anzusehen, wenn wir den Tempel von Coricancha besichtigen…«
Coricancha. Das war der Ort, den Micos ihnen genannt hatte. Er war versucht, in der Nähe der Frau zu bleiben – aber das war sinnlos. Er hatte einen kleinen Tempel erwartet, der schwer zu finden war, aber offensichtlich war er eine bedeutende Sehenswürdigkeit. Außerdem sollte Matt erst am Freitag bei Sonnenuntergang dort sein. Welcher Tag war heute? Er hatte keine Ahnung. Matt hatte gerade eine ganze Nacht im Bus verbracht. Es musste also Mittwoch oder Donnerstag sein. Jetzt stand er in einer ihm unbekannten Stadt, ohne ein Dach über dem Kopf. In gewisser Hinsicht teilte er Pedros Schicksal: Sie waren beide desplazados – heimatlos.
Die Frau mit dem Sonnenschirm zog weiter, und die Touristen folgten ihr wie Schafe. Matt drehte sich zu Pedro um, der irgendwie verloren auf dem Marktplatz stand. Kein Wunder – sicher kam ihm Cuzco genauso fremd vor wie Matt.
»Wir müssen uns einen Schlafplatz suchen«, sagte er zu seinem Freund.
Pedro sah ihn verständnislos an.
»Ein Hotel«, fügte Matt hinzu. Er wusste, dass sie sich das nicht leisten konnten, aber es war eines der wenigen Worte, die Pedro verstand.
Pedro schüttelte zweifelnd den Kopf.
Matt machte die weltweit bekannte Geste für Geld, indem er Daumen und Zeigefinger aneinander rieb. »Irgendwas Billiges«, sagte er.
Sie verließen den Platz und gingen eine schmale Gasse hinunter, auf deren einer Seite eine etwa fünf Meter hohe Mauer verlief. Bestimmt hatte dieses Volk, von dem die Reiseführerin gesprochen hatte, sie errichtet – die Inka. Die Mauer sah aus, als wäre sie mindestens tausend Jahre alt. Die Steine waren riesig. Jeder einzelne wog bestimmt mehr als eine Tonne. Außerdem waren sie unregelmäßig geformt und sieben- oder achteckig. Und trotzdem hielten sie zusammen, sogar ohne Zement. Überall waren Touristen, die einander vor der Mauer fotografierten, und Straßenhändler verkauften Postkarten mit Ansichten der Mauer.
In das erste Hotel, das sie fanden, ließ man sie nicht hinein. Es war ein kleines, schäbig aussehendes Haus voller Studenten und Rucksacktouristen, die draußen saßen, rauchten und Bier tranken. Während Pedro mit der misstrauisch aussehenden Wirtin sprach, hockte Matt sich neben der Tür auf den Fußweg, um seine Größe zu verbergen. Pedro hatte kein Glück. Er hatte zwar Geld, aber die Frau wollte es nicht. Er konnte keinen Pass vorzeigen. Das Geld war zweifellos gestohlen. Warum wollten zwei peruanische Betteljungen in ein Touristenhotel? Doch sicher nur, um die Gäste auszurauben.
Im zweiten Hotel erging es ihnen nicht anders. Beim dritten versuchte Matt auf Englisch, ein Zimmer zu bekommen. Der Besitzer starrte ihn schockiert an, was Matt gut verstehen konnte. Die Sprache passte einfach nicht zu seinem Aussehen, und er verabschiedete sich hastig. Die Polizei war mit Sicherheit immer noch hinter ihm her. Er hatte keine Papiere, und damit war er ein Niemand. Wenn die Polizei ihn noch einmal in die Hände bekam, würde er garantiert auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Mittlerweile war es später Vormittag. Matt war durstig, hungrig und erschöpft. Er spürte, wie dünn die Luft war. Jedes Mal, wenn es bergauf ging, musste er hinterher kurz stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Wie hoch oben waren sie eigentlich?
Er sah Pedro an. »Hast du auch Hunger?«, fragte er und tat so, als würde er etwas in den Mund stecken.
Pedro nickte. » Estoy muerto de hambre. «
Sie wählten ein menschenleeres und heruntergekommenes Restaurant, doch sogar hier weigerte sich der Besitzer, sie zu bedienen, wenn sie nicht im Voraus zahlten. Aber als er dann ihr Geld hatte und wusste, dass sie nicht erst essen und dann wegrennen würden, hatte er Mitleid mit ihnen und brachte ihnen eine Riesenportion chicharrones – frittierte Schweinerippchen – und dazu einen Krug Wasser.
Matt und Pedro aßen schweigend. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Aber obwohl sie sich nicht unterhalten konnten, fühlte Matt sich dem Jungen immer enger verbunden. Es war so, als würden sie sich schon ein Leben lang kennen und sich auch ohne Worte verstehen. Ein paar Touristen kamen herein, aber sie beachteten die beiden Jungen nicht. Matt konnte sich entspannen und seine Gedanken sammeln.
Einer der Gäste am Nebentisch las eine
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