Teufelswasser
Höschens war das kleine Abbild einer Kiwifrucht eingestickt. Irene war eher hellhäutig und hatte einen klassischen, marineblauen Badeanzug mit schmalen, weißen Saumlinien bevorzugt, der besonders am Rücken tief ausgeschnitten war. Roses silbergrauer, den gesamten Oberkörper weitgehend bedeckender Badeanzug ließ dagegen ausschließlich züchtige Zurückhaltung erkennen. Alle drei trugen die zu ihrer jeweiligen Badekleidung passenden Badekappen und begaben sich nach ihrer Ruhepause noch einmal ins Wellenbecken.
Auch ein katholischer Priester aus Bamberg, Prälat Albert Glöcklein, nutzte seine Freizeit am Sonntagnachmittag, um sich den Annehmlichkeiten des Thermalbads zu widmen. Er wollte allerdings bloß ausgiebig baden gehen, machte also keine richtige Kur, denn eine solche wäre ihm in seiner priesterlichen Position eher kurios vorgekommen. Sein Trachten galt mehr einem gesunden Glauben.
Freilich wirkte allein sein Aufzug bereits kurioser als ihm bewusst war. An einer Wand neben dem Schwimmbecken war eine Hakenstange befestigt, und an den Haken baumelten paarweise Schwimmflossen, zur freien Verfügung der Badegäste. Die Schwimmflossen waren schwarz. Das gefiel dem Prälaten, und er hatte sich ein Paar an die Füße geschnallt.
Glöcklein dachte, es gehöre sich, dass ein Priester immerfort angemessen gekleidet sei. Deshalb hatte er auch eine übergroße tiefschwarze Badehose angezogen, die seinen vollkommenen Bauch gleich mit umfing, und eine ebensolche Badekappe auf dem Kopf, die sogar seine Ohren umschloss. Der modischen Badekleidung der Gegenwart vermochte er nämlich nichts abzugewinnen. Am liebsten hätte er einen Badeanzug für Männer getragen, wie er weiland üblich gewesen. Auf Fotografien aus der Zeit um 1900 hatte er die damals gesitteten Herren-Badetrikots gesehen, die bis zu den Knien reichten, halblange Ärmel hatten und bis unter den Hals zugeknöpft waren.
Jetzt stapfte er mit seinen Schwimmflossen – wenn auch ohne seine Goldrandbrille, denn die hatte der weitsichtige Prälat draußen gelassen – auf den Rand des Wellenbeckens zu.
«Das ist doch … hallo, Herr Prälat, hier unten, im Wasser!»
Ein wenig blind und taub wie er war, reagierte Glöcklein nicht sofort, obwohl er religiös beständig darauf hoffte, dass ihn ein Ruf ereile. Er musste erst seine Badekappe an den Ohren hochschieben und mit zusammengekniffenen Augenlidern um sich schauen, bevor er Rose Laubmann im Wasser erkannte. «Frau … Laubmann, wenn ich mich recht entsinne?»
«Ja, die Mutter von Philipp!» Sie war mit sichtlicher Freude über das Wiedersehen auf ihn zugeschwommen.
An Philipp Laubmann, seinen wiederholten theologischen Widersacher, wurde Albert Glöcklein jedoch nicht gern erinnert.
Rose wandte sich ihren Begleiterinnen zu und rief laut in die «Brandung» hinein: «Prälat Glöcklein ist hier!»
Rose und Irene Laubmann war der Herr Prälat aus Bamberg von zwei Kriminalfällen her wohlbekannt, in die sich Philipp Laubmann nach Meinung Glöckleins zu sehr eingemischt hatte; und damit zu sehr in amtskirchliche Zuständigkeiten. Solche Einmischungen sah Albert Glöcklein, als bischöflicher Vikar, der im Sinne einer inoffiziellen Aufsicht den Kontakt zur Katholisch-Theologischen Fakultät in Bamberg pflegen sollte, grundsätzlich ungern – sofern sie nicht gerade den Interessen der Diözese dienten. Doch bisweilen entzog sich etwas seiner Kontrolle, und die wollte er durchwegs behalten.
Die Richtschnur für das Verhalten des 61-jährigen Prälaten waren meist seine eigenen klerikalen Vorstellungen, also seine Interpretation dessen, was zum Wohle der Kirche zu geschehen habe. Insgesamt jedoch war seine oftmals würdevoll-auftrumpfende Art für Laubmann und alle anderen Dozenten erträglich, weil Glöcklein nicht unbedingt ein Diamant in der Krone der Wissenschaften, der Theologie, war. Außerdem war er zum Beispiel dem irdischen guten Essen zu sehr zugeneigt, als dass er absolute Strenge und Selbstbeherrschung hätte predigen können.
Die drei Damen entstiegen dem Wasser, nahmen ihre Badekappen ab, schüttelten ihr Haar aus und griffen nach ihren Badetüchern. Glöcklein war ob des Anblicks der dreifachen Weiblichkeit reichlich verlegen – und ob seines Daherkommens in Schwimmflossen erst recht. Er zog seinerseits die Badekappe wie einen Hut vor den Damen. Rose, Irene und Elisabeth näherten sich ihm ganz unbekümmert, mussten aber, als sie den Einstieg zum Wellenbecken für andere Badegäste
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