Teufelswasser
über Margaretes Tod nicht fassen, dass auch ihr Bruder ermordet worden war. Gabriela Schauberg hatte bereits Freitagnacht in Bamberg angerufen, nun aber Näheres berichten können.
Gemeinsam mit ihm hatte sie danach ein für seine Verhältnisse frugales, um nicht zu sagen, karges Abendessen eingenommen – ein paar Brotscheiben mit Aufschnittwurst, dazu Früchtetee. Freilich, als Philipp alle vorbereiteten Brotscheiben verzehrt hatte, war Gabriela in die Küche gegangen, um einen frischen Laib Brot für ihn anzuschneiden, wobei sie vorab mit der Spitze des Brotmessers drei Kreuze auf der Unterseite des Brotlaibs angedeutet hatte. Damit hatte sie das Brot in Dankbarkeit gesegnet und der Dreifaltigkeit gedacht.
Gabriela Schauberg war, ihrer Gewohnheit entsprechend, bald schlafen gegangen. Philipp Laubmann hatte sich in die Schlosskapelle zurückgezogen, um im Brevier zu beten, wie er es sich angewöhnt hatte.
Der Kirchenraum war dunkel gewesen, nicht einmal von Kerzen erleuchtet. Mattes Licht hatte nur vom Eingang aus hereingeschienen, weil die Flügeltür geöffnet war. Allein der wie ein abgesägtes Balkenstück auf dem Boden neben der Tür platzierte hölzerne Opferstock mit seinem Vorhängeschloss war deutlich sichtbar geblieben. Doch wer sollte dort Almosen einwerfen, da die Kapelle wie das gesamte Anwesen für die Öffentlichkeit in der Regel nicht zugänglich war?
Die Kühle in der Kapelle hatte Philipp gutgetan. Er hatte seinen Blick durch die Finsternis schweifen lassen, ohne dass ihm bange geworden wäre. An den Nischen der hohen Kirchenfenster hatte er erkannt, dass die Mauern sehr dick waren. Die Scheiben, gedämpft beschienen von einer Laterne an der Außenwand, waren stellenweise von Kalkablagerungen überzogen, weil seit langen Jahren immer wieder Wasser durch die eisernen Halterungen herabgesickert war.
Er hatte geglaubt, er sei für sich, hatte aber unversehens erkennen müssen, dass eine weitere Person, die ihm unbekannte Agnes Zähringsdorf, still und wie leblos in einer der seitlichen Kirchenbänke kniete. Sie war so ins Gebet versunken gewesen, dass sie Laubmann nicht gleich bemerkt hatte. Doch als sie gespürt hatte, dass er sie wahrnahm, hatte sie sich erhoben und die Kapelle verlassen, als habe der Fremde sie gestört. Ihr Gesicht hatte im spärlichen Lichtschein einen fahlen Ton.
Gertrud Steinhag, die Leiterin des Instituts, hatte Dr. Laubmann für die Nacht in einem der Turmzimmer einquartiert, was ihm als Romantiker sehr gefiel. Die niedrige Tür und die beinahe schießschartenförmigen Fenster waren in Mauern eingelassen, die noch dicker waren als diejenigen in der Kapelle. Die drei Fenster gingen zum Park hinaus, wobei dem mittleren innen in der Fensternische rechts und links Sitzbänke vorgelagert waren, wie Philipp sie aus alten Burgen kannte. Von seinem Bett aus hatte er die Schatten der hochragenden Bäume ausmachen können, deren Kronen sich immerzu majestätisch langsam bewegt hatten.
Er hatte herrlich geschlafen, und am folgenden Morgen, dem Sonntagmorgen, sah er nach dem Aufwachen einen Buchfinken außen auf dem Mauervorsprung an einem der Fenster. Ein Buch-Fink, meditierte er, sei, selbst wenn die sprachliche Herleitung so nicht stimme, die einem Bücherfreund gebührende Begrüßung.
Die Frühmesse in der Schlosskapelle, an der Philipp Laubmann teilnahm, zelebrierte der Geistliche Rat Kautler, der die ihm angebotene Möglichkeit der Messfeier im Säkularinstitut immer gerne wahrnahm, obwohl ihm die Fahrt im eigenen Wagen hierher schwerfiel. Denn Kautler war über 80 und im Alter gebrechlich geworden. Er war sehr konservativ und ein Freund der lateinischen Messe. Zu seinem Bedauern durfte er sie nur selten zelebrieren. Denn diese liturgische Form war seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er-Jahren von Seiten der römischen Amtskirche nicht mehr als ordentlicher Messritus vorgesehen. Doch am liebsten hätte der Geistliche Rat sogar die Predigt auf Latein gehalten.
Kautler hatten die Ergebnisse des Konzils mit fortschreitendem Lebensalter immer weniger behagt. Er war in seiner Bewertung ein Beharrender, verwechselte aber Beharren mit Erstarren. Er sah sich in seiner priesterlichen Aufgabe anders, als es dem Geist des Konzils entsprach, wollte als Vorsteher der Gemeinde und mit dem Rücken zu ihr am Hochaltar zu Gott aufblicken, also nicht an einem modernen Volksaltar dem Kirchenvolk zugewandt sein. Als hätte er Angst, das Volk könne ihm auf die Finger sehen. Es
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