Teufelswasser
Gäste vollzählig zu sein, kam ein sich jugendlich gebender Moderator auf die Bühne und unterbrach die Musik, um mittels eines angesteckten Mikrophons das Programm des Abends zu verkünden. Er wies auf diverse Show-Einlagen, das kalte und das warme Buffet im «Grünen Saal» und im «Weißen Saal» sowie auf die Stellwände mit den Plänen und die Vitrinen mit den Modellen hin, die im Festsaal unübersehbar platziert waren und einen Einblick in die Bauvorhaben des «Gastgebers» erlaubten. Zu vorgerückter Stunde werde noch die Möglichkeit zum Tanzen gegeben sein. Wenn jemand bezüglich der Projekte Fragen habe, könnten diese an die Damen und Herren des Unternehmens gerichtet werden.
‹… also an Engel und seine Schranzen›, dachte Laubmann bei sich, denn die aufgetakelte Gesellschaft missfiel ihm moraltheologisch von vornherein.
Höflicher Applaus erscholl, die Musik begann erneut zu spielen und die Stimmung im Saal stieg in Vorfreude auf die verschiedenen Buffets merklich an. Sodann ließ ein nicht ganz unbekannter Pianist auf dem Konzertflügel des Hauses eine Mozart-Variation erklingen. Als er geendigt und der nunmehr begeisterte Applaus sich gelegt hatte, wurde Friedolin Engel von dem emsigen Moderator auf die Bühne gebeten.
In selbstbewusster Manier und mit einer so kräftigen Stimme, dass er sein Mikrophon gar nicht gebraucht hätte, begrüßte Engel seine Gäste, wobei er wie immer mit der Benennung von Rängen und Titeln nicht sparte. Und er erwähnte ausdrücklich den soeben eingetroffenen «Herrn Prälaten Glöcklein, unseren Kurseelsorger», der die Diözese Würzburg und die Erzdiözese Bamberg gleichermaßen würdig vertrete. Engel, im Smoking, bewies demonstrativ ein Herz für die Kirche.
Philipp Laubmann raunte Gabriela Schauberg im Hintergrund zu: «Der ‹Herr Prälat› vertritt doch immer nur sich selbst.»
Glöcklein indes fühlte sich überaus geschmeichelt, lächelte breit und grüßte nach allen Seiten, Bescheidenheit vorschützend. Wie üblich war er priesterlich gekleidet.
Schnell kam Friedolin Engel auf seine «mutigen» geschäftlichen Unternehmungen zu sprechen, die unter anderem auch der Stadt Bad Kissingen zugutekommen würden. Braver Applaus kam hin und wieder auf, und gefälliges Gelächter erscholl bei vermuteten Bonmots. Überhaupt sei es außerordentlich schwer geworden, erklärte Engel beinahe selbstmitleidig, vernünftig zu investieren. Vielerorts würde das freie Unternehmertum am Hungertuch nagen.
‹Die Ärmsten. Man sollte für sie Altkleiderspenden organisieren›, erwog Albert Glöcklein, diesmal nicht ohne Ironie.
«Unsere Vorhaben freilich fußen auf einer soliden Basis. Uns können Sie vertrauen.» Und ganz nach der Devise: «Alles ist ein Geben und Nehmen!», trat Friedolin Engel von der Bühne ab, wenn auch nur von der Bühne des Festsaals.
Laubmanns leiser Kommentar: «Einer nimmt, die Anderen geben.»
«Hätte ich geahnt, dass es Ihnen an Heiterkeit gebricht, hätte ich Sie nicht mitgenommen», flüsterte Gabriela zurück.
Doch Philipp blieb stur.
Die Gäste wandten sich den gedeckten Tafeln zu, beachteten sich gegenseitig nicht ohne Argwohn, tuschelten untereinander, gruppierten sich um die Stehtische oder stolzierten durch die Säle. Derweil stimmte eine Sängerin reiferen Alters ein Lied von Hildegard Knef an: «Für mich soll's rote Rosen regnen». Dann folgten «Eins und eins, das macht zwei» und noch andere Lieder des unvergessenen Stars, was Philipp sehr gefiel, denn er verehrte die Knef.
Gabriela und er hatten sich ebenfalls am Buffet bedient und stießen mit Sektgläsern an, wobei Gabriela ihn charmant anlächelte. Laubmann spürte, dass sie sich trotz ihres überaus christlichen Lebenswandels noch elegant auf einem Festparkett zu bewegen vermochte und keinerlei Vergleich zu scheuen brauchte. Sie war sogar dezent geschminkt und trug ein schwarzblaues, bodenlanges Kleid, das freilich ganz bis zum Hals geschlossen war. Ihr einziger Schmuck bestand aus einer einfachen Silberkette mit einem silbernen Kreuz daran.
Laubmann hingegen war die Wahl der Bekleidung schon schwerer gefallen; wäre er doch am liebsten in seiner üblichen bequemen Hose und seinem karierten Dozenten-Jackett, und am besten ohne Krawatte, erschienen. Weil das aber nicht schicklich gewesen wäre, hatte er sich in seinen dunklen Anzug geklemmt, den er vor Jahren für Beerdigungen und universitäre Feierlichkeiten auf Anraten seiner Mutter und seiner Cousine erworben
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